| Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 528 | |||||||
| Zeile: 
 | Text (Kant): 
 | 
 
 | 
 
 | ||||
| 01 | vollständige Gut. Um dieses zu vollenden, muß der, so sich als der Glückseligkeit | ||||||
| 02 | nicht unwerth verhalten hatte, hoffen können, ihrer theilhaftig zu | ||||||
| 03 | werden. Selbst die von aller Privatabsicht freie Vernunft, wenn sie, ohne | ||||||
| 04 | dabei ein eigenes Interesse in Betracht zu ziehen, sich in die Stelle eines | ||||||
| 05 | Wesens setzte, das alle Glückseligkeit andern auszutheilen hätte, kann nicht | ||||||
| 06 | anders urtheilen; denn in der praktischen Idee sind beide Stücke wesentlich | ||||||
| 07 | verbunden, obzwar so, daß die moralische Gesinnung als Bedingung den | ||||||
| 08 | Antheil an Glückseligkeit und nicht umgekehrt die Aussicht auf Glückseligkeit | ||||||
| 09 | die moralische Gesinnung zuerst möglich mache. Denn im letzteren | ||||||
| 10 | Falle wäre sie nicht moralisch und also auch nicht der ganzen Glückseligkeit | ||||||
| 11 | würdig, die vor der Vernunft keine andere Einschränkung erkennt als | ||||||
| 12 | die, welche von unserem eigenen unsittlichen Verhalten herrührt. | ||||||
| 13 | Glückseligkeit also in dem genauen Ebenmaße mit der Sittlichkeit der | ||||||
| 14 | vernünftigen Wesen, dadurch sie derselben würdig sind, macht allein das | ||||||
| 15 | höchste Gut einer Welt aus, darin wir uns nach den Vorschriften der reinen, | ||||||
| 16 | aber praktischen Vernunft durchaus versetzen müssen, und welche freilich | ||||||
| 17 | nur eine intelligibele Welt ist, da die Sinnenwelt uns von der Natur | ||||||
| 18 | der Dinge dergleichen systematische Einheit der Zwecke nicht verheißt, deren | ||||||
| 19 | Realität auch auf nichts andres gegründet werden kann, als auf die | ||||||
| 20 | Voraussetzung eines höchsten ursprünglichen Guts, da selbstständige Vernunft, | ||||||
| 21 | mit aller Zulänglichkeit einer obersten Ursache ausgerüstet, nach | ||||||
| 22 | der vollkommensten Zweckmäßigkeit die allgemeine, obgleich in der Sinnenwelt | ||||||
| 23 | uns sehr verborgene Ordnung der Dinge gründet, erhält und vollführt. | ||||||
| 25 | Diese Moraltheologie hat nun den eigenthümlichen Vorzug vor der | ||||||
| 26 | speculativen, daß sie unausbleiblich auf den Begriff eines einigen, allervollkommensten | ||||||
| 27 | und vernünftigen Urwesens führt, worauf uns speculative | ||||||
| 28 | Theologie nicht einmal aus objectiven Gründen hinweiset, geschweige | ||||||
| 29 | uns davon überzeugen konnte. Denn wir finden weder in der | ||||||
| 30 | transscendentalen, noch natürlichen Theologie, so weit uns auch Vernunft | ||||||
| 31 | darin führen mag, einigen bedeutenden Grund, nur ein einiges Wesen | ||||||
| 32 | anzunehmen, welches wir allen Naturursachen vorsetzen, und von dem wir | ||||||
| 33 | zugleich diese in allen Stücken abhängend zu machen hinreichende Ursache | ||||||
| 34 | hätten. Dagegen wenn wir aus dem Gesichtspunkte der sittlichen Einheit | ||||||
| 35 | als einem nothwendigen Weltgesetze die Ursache erwägen, die diesem allein | ||||||
| 36 | den angemessenen Effect, mithin auch für uns verbindende Kraft geben | ||||||
| 37 | kann, so muß es ein einiger oberster Wille sein, der alle diese Gesetze in | ||||||
| [ Seite 527 ] [ Seite 529 ] [ Inhaltsverzeichnis ] | |||||||