Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 434 |
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| 01 | einerseits das Interesse des Umfanges (der Allgemeinheit) in Ansehung | ||||||
| 02 | der Gattungen, andererseits des Inhalts (der Bestimmtheit) in Absicht | ||||||
| 03 | auf die Mannigfaltigkeit der Arten, weil der Verstand im ersteren Falle | ||||||
| 04 | zwar viel unter seinen Begriffen, im zweiten aber desto mehr in denselben | ||||||
| 05 | denkt. Auch äußert sich dieses an der sehr verschiedenen Denkungsart | ||||||
| 06 | der Naturforscher, deren einige (die vorzüglich speculativ sind), der | ||||||
| 07 | Ungleichartigkeit gleichsam feind, immer auf die Einheit der Gattung | ||||||
| 08 | hinaussehen, die anderen (vorzüglich empirische Köpfe) die Natur unaufhörlich | ||||||
| 09 | in so viel Mannigfaltigkeit zu spalten suchen, daß man beinahe | ||||||
| 10 | die Hoffnung aufgeben müßte, ihre Erscheinungen nach allgemeinen Principien | ||||||
| 11 | zu beurtheilen. | ||||||
| 12 | Dieser letzteren Denkungsart liegt offenbar auch ein logisches Princip | ||||||
| 13 | zum Grunde, welches die systematische Vollständigkeit aller Erkenntnisse | ||||||
| 14 | zur Absicht hat, wenn ich, von der Gattung anhebend, zu dem Mannigfaltigen, | ||||||
| 15 | das darunter enthalten sein mag, herabsteige und auf solche | ||||||
| 16 | Weise dem System Ausbreitung, wie im ersteren Falle, da ich zur Gattung | ||||||
| 17 | aufsteige, Einfalt zu verschaffen suche. Denn aus der Sphäre des Begriffs, | ||||||
| 18 | der eine Gattung bezeichnet, ist eben so wenig wie aus dem Raume, den | ||||||
| 19 | Materie einnehmen kann, zu ersehen, wie weit die Theilung derselben gehen | ||||||
| 20 | könne. Daher jede Gattung verschiedene Arten, diese aber verschiedene | ||||||
| 21 | Unterarten erfordert; und da keine der letzteren stattfindet, die nicht | ||||||
| 22 | immer wiederum eine Sphäre (Umfang als conceptus communis ) hätte | ||||||
| 23 | so verlangt die Vernunft in ihrer ganzen Erweiterung, daß keine Art als | ||||||
| 24 | die unterste an sich selbst angesehen werde, weil, da sie doch immer ein | ||||||
| 25 | Begriff ist, der nur das, was verschiedenen Dingen gemein ist, in sich enthält, | ||||||
| 26 | dieser nicht durchgängig bestimmt, mithin auch nicht zunächst auf | ||||||
| 27 | ein Individuum bezogen sein könne, folglich jederzeit andere Begriffe, d. i. | ||||||
| 28 | Unterarten, unter sich enthalten müsse. Dieses Gesetz der Specification | ||||||
| 29 | könnte so ausgedrückt werden: entium varietates non temere esse minuendas . | ||||||
| 31 | Man sieht aber leicht, daß auch dieses logische Gesetz ohne Sinn und | ||||||
| 32 | Anwendung sein würde, läge nicht ein transscendentales Gesetz der | ||||||
| 33 | Specification zum Grunde, welches zwar freilich nicht von den Dingen, | ||||||
| 34 | die unsere Gegenstände werden können, eine wirkliche Unendlichkeit | ||||||
| 35 | in Ansehung der Verschiedenheiten fordert, denn dazu giebt das logische | ||||||
| 36 | Princip, als welches lediglich die Unbestimmtheit der logischen Sphäre | ||||||
| 37 | in Ansehung der möglichen Eintheilung behauptet, keinen Anlaß; aber | ||||||
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