Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 429 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | Ursprung haben), um den Antheil, den jede dieser Naturursachen an der | ||||||
02 | Erscheinung hat, gehörig zu bestimmen; und so bringt man alle Materien | ||||||
03 | auf die Erden (gleichsam die bloße Last), salze und brennliche Wesen | ||||||
04 | (als die Kraft), endlich auf Wasser und Luft als Vehikeln (gleichsam Maschinen, | ||||||
05 | vermittelst deren die vorigen wirken), um nach der Idee eines | ||||||
06 | Mechanismus die chemischen Wirkungen der Materien unter einander zu | ||||||
07 | erklären. Denn wiewohl man sich nicht wirklich so ausdrückt, so ist doch | ||||||
08 | ein solcher Einfluß der Vernunft auf die Eintheilungen der Naturforscher | ||||||
09 | sehr leicht zu entdecken. | ||||||
10 | Wenn die Vernunft ein Vermögen ist, das Besondere aus dem Allgemeinen | ||||||
11 | abzuleiten, so ist entweder das Allgemeine schon an sich gewiß | ||||||
12 | und gegeben, und alsdann erfordert es nur Urtheilskraft zur Subsumtion, | ||||||
13 | und das Besondere wird dadurch nothwendig bestimmt. Dieses will | ||||||
14 | ich den apodiktischen Gebrauch der Vernunft nennen. Oder das Allgemeine | ||||||
15 | wird nur problematisch angenommen und ist eine bloße Idee; | ||||||
16 | das Besondere ist gewiß, aber die Allgemeinheit der Regel zu dieser Folge | ||||||
17 | ist noch ein Problem: so werden mehrere besondere Fälle, die insgesammt | ||||||
18 | gewiß sind, an der Regel versucht, ob sie daraus fließen; und in diesem | ||||||
19 | Falle, wenn es den Anschein hat, daß alle anzugebende besondere Fälle | ||||||
20 | daraus abfolgen, wird auf die Allgemeinheit der Regel, aus dieser aber | ||||||
21 | nachher auf alle Fälle, die auch an sich nicht gegeben sind, geschlossen. | ||||||
22 | Diesen will ich den hypothetischen Gebrauch der Vernunft nennen. | ||||||
23 | Der hypothetische Gebrauch der Vernunft aus zum Grunde gelegten | ||||||
24 | Ideen als problematischen Begriffen ist eigentlich nicht constitutiv, | ||||||
25 | nämlich nicht so beschaffen, daß dadurch, wenn man nach aller Strenge | ||||||
26 | urtheilen will, die Wahrheit der allgemeinen Regel, die als Hypothese | ||||||
27 | angenommen worden, folge; denn wie will man alle mögliche Folgen | ||||||
28 | wissen, die, indem sie aus demselben angenommenen Grundsatze folgen, | ||||||
29 | seine Allgemeinheit beweisen? Sondern er ist nur regulativ, um dadurch, | ||||||
30 | so weit als es möglich ist, Einheit in die besonderen Erkenntnisse zu bringen | ||||||
31 | und die Regel dadurch der Allgemeinheit zu nähern. | ||||||
32 | Der hypothetische Vernunftgebrauch geht also auf die systematische | ||||||
33 | Einheit der Verstandeserkenntnisse, diese aber ist der Probirstein der | ||||||
34 | Wahrheit der Regeln. Umgekehrt ist die systematische Einheit (als bloße | ||||||
35 | Idee) lediglich nur projectirte Einheit, die man an sich nicht als gegeben, | ||||||
36 | sondern nur als Problem ansehen muß; welche aber dazu dient, zu | ||||||
37 | dem mannigfaltigen und besonderen Verstandesgebrauche ein Principium | ||||||
[ Seite 428 ] [ Seite 430 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |