Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 410 |
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Text (Kant):
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| 01 | habe, sind und bleiben für uns unerforschlich, obzwar die Sache selbst | ||||||
| 02 | übrigens gegeben, aber nur nicht eingesehen ist. Ein Ideal der reinen | ||||||
| 03 | Vernunft kann aber nicht unerforschlich heißen, weil es weiter keine | ||||||
| 04 | Beglaubigung seiner Realität aufzuweisen hat, als das Bedürfniß der | ||||||
| 05 | Vernunft, vermittelst desselben alle synthetische Einheit zu vollenden. Da | ||||||
| 06 | es also nicht einmal als denkbarer Gegenstand gegeben ist, so ist es auch | ||||||
| 07 | nicht als ein solcher unerforschlich; vielmehr muß es als bloße Idee in der | ||||||
| 08 | Natur der Vernunft seinen Sitz und seine Auflösung finden und also erforscht | ||||||
| 09 | werden können; denn eben darin besteht Vernunft, daß wir von | ||||||
| 10 | allen unseren Begriffen, Meinungen und Behauptungen, es sei aus objectiven, | ||||||
| 11 | oder, wenn sie ein bloßer Schein sind, aus subjectiven Gründen, | ||||||
| 12 | Rechenschaft geben können. | ||||||
| 13 | Entdeckung und Erklärung des dialektischen Scheins |
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| 14 | in allen transscendentalen Beweisen vom Dasein eines |
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| 15 | nothwendigen Wesens. |
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| 16 | Beide bisher geführte Beweise waren transscendental, d. i. unabhängig | ||||||
| 17 | von empirischen Principien, versucht. Denn obgleich der kosmologische | ||||||
| 18 | eine Erfahrung überhaupt zum Grunde legt, so ist er doch nicht aus | ||||||
| 19 | irgend einer besonderen Beschaffenheit derselben, sondern aus reinen Vernunftprincipien | ||||||
| 20 | in Beziehung auf eine durchs empirische Bewußtsein | ||||||
| 21 | überhaupt gegebene Existenz geführt und verläßt sogar diese Anleitung, | ||||||
| 22 | um sich auf lauter reine Begriffe zu stützen. Was ist nun in diesen transscendentalen | ||||||
| 23 | Beweisen die Ursache des dialektischen, aber natürlichen | ||||||
| 24 | Scheins, welcher die Begriffe der Nothwendigkeit und höchsten Realität | ||||||
| 25 | verknüpft und dasjenige, was doch nur Idee sein kann, realisirt und | ||||||
| 26 | hypostasirt? Was ist die Ursache der Unvermeidlichkeit, etwas als an sich | ||||||
| 27 | nothwendig unter den existirenden Dingen anzunehmen und doch zugleich | ||||||
| 28 | vor dem Dasein eines solchen Wesens als einem Abgrunde zurückzubeben; | ||||||
| 29 | und wie fängt man es an, daß sich die Vernunft hierüber selbst verstehe | ||||||
| 30 | und aus dem schwankenden Zustande eines schüchternen und immer | ||||||
| 31 | wiederum zurückgenommenen Beifalls zur ruhigen Einsicht gelange? | ||||||
| 32 | Es ist etwas überaus Merkwürdiges, daß, wenn man voraussetzt, | ||||||
| 33 | etwas existire, man der Folgerung nicht Umgang haben kann, daß auch | ||||||
| 34 | irgend etwas nothwendigerweise existire. Auf diesem ganz natürlichen | ||||||
| 35 | (obzwar darum noch nicht sicheren) Schlusse beruhte das kosmologische Argument. | ||||||
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