Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 369 |
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| 01 | Ob es aber gleich hiebei lediglich nach einer Kette von Ursachen aussieht, | ||||||
| 02 | die im Regressus zu ihren Bedingungen gar keine absolute Totalität | ||||||
| 03 | verstattet, so hält uns diese Bedenklichkeit doch gar nicht auf; denn | ||||||
| 04 | sie ist schon in der allgemeinen Beurtheilung der Antinomie der Vernunft, | ||||||
| 05 | wenn sie in der Reihe der Erscheinungen aufs Unbedingte ausgeht, gehoben | ||||||
| 06 | worden. Wenn wir der Täuschung des transscendentalen Realismus | ||||||
| 07 | nachgeben wollen, so bleibt weder Natur, noch Freiheit übrig. Hier ist | ||||||
| 08 | nur die Frage: ob, wenn man in der ganzen Reihe aller Begebenheiten | ||||||
| 09 | lauter Naturnothwendigkeit anerkennt, es doch möglich sei, eben dieselbe, | ||||||
| 10 | die einerseits bloße Naturwirkung ist, doch andererseits als Wirkung aus | ||||||
| 11 | Freiheit anzusehen, oder ob zwischen diesen zwei Arten von Causalität ein | ||||||
| 12 | gerader Widerspruch angetroffen werde. | ||||||
| 13 | Unter den Ursachen in der Erscheinung kann sicherlich nichts sein, | ||||||
| 14 | welches eine Reihe schlechthin und von selbst anfangen könnte. Jede Handlung | ||||||
| 15 | als Erscheinung, so fern sie eine Begebenheit hervorbringt, ist selbst | ||||||
| 16 | Begebenheit oder Eräugniß, welche einen andern Zustand voraussetzt, | ||||||
| 17 | darin die Ursache angetroffen werde; und so ist alles, was geschieht, nur | ||||||
| 18 | eine Fortsetzung der Reihe, und kein Anfang, der sich von selbst zutrüge, | ||||||
| 19 | in derselben möglich. Also sind alle Handlungen der Naturursachen in | ||||||
| 20 | der Zeitfolge selbst wiederum Wirkungen, die ihre Ursachen eben so wohl | ||||||
| 21 | in der Zeitreihe voraussetzen. Eine ursprüngliche Handlung, wodurch | ||||||
| 22 | etwas geschieht, was vorher nicht war, ist von der Causalverknüpfung der | ||||||
| 23 | Erscheinungen nicht zu erwarten. | ||||||
| 24 | Ist es denn aber auch nothwendig, daß, wenn die Wirkungen Erscheinungen | ||||||
| 25 | sind, die Causalität ihrer Ursache, die (nämlich Ursache) selbst | ||||||
| 26 | auch Erscheinung ist, lediglich empirisch sein müsse? Und ist es nicht vielmehr | ||||||
| 27 | möglich, daß, obgleich zu jeder Wirkung in der Erscheinung eine | ||||||
| 28 | Verknüpfung mit ihrer Ursache nach Gesetzen der empirischen Causalität | ||||||
| 29 | allerdings erfordert wird, dennoch diese empirische Causalität selbst, ohne | ||||||
| 30 | ihren Zusammenhang mit den Naturursachen im mindesten zu unterbrechen, | ||||||
| 31 | doch eine Wirkung einer nichtempirischen, sondern intelligibelen Causalität | ||||||
| 32 | sein könne? D. i. einer in Ansehung der Erscheinungen ursprünglichen | ||||||
| 33 | Handlung einer Ursache, die also in so fern nicht Erscheinung, sondern | ||||||
| 34 | diesem Vermögen nach intelligibel ist, ob sie gleich übrigens gänzlich als | ||||||
| 35 | ein Glied der Naturkette mit zu der Sinnenwelt gezählt werden muß. | ||||||
| 36 | Wir bedürfen des Satzes der Causalität der Erscheinungen unter einander, | ||||||
| 37 | um von Naturbegebenheiten Naturbedingungen, d. i. Ursachen in | ||||||
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