| Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 325 | |||||||
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| 01 | indem man vom Unbedingten anfängt; welches die Antithesis nicht leistet, | ||||||
| 02 | die dadurch sich sehr übel empfiehlt, daß sie auf die Frage wegen der Bedingungen | ||||||
| 03 | ihrer Synthesis keine Antwort geben kann, die nicht ohne Ende | ||||||
| 04 | immer weiter zu fragen übrig ließe. Nach ihr muß man von einem gegebenen | ||||||
| 05 | Anfange zu einem noch höheren aufsteigen, jeder Theil führt auf | ||||||
| 06 | einen noch kleineren Theil, jede Begebenheit hat immer noch eine andere | ||||||
| 07 | Begebenheit als Ursache über sich, und die Bedingungen des Daseins | ||||||
| 08 | überhaupt stützen sich immer wiederum auf andere, ohne jemals in einem | ||||||
| 09 | selbstständigen Dinge als Urwesen unbedingte Haltung und Stütze zu bekommen. | ||||||
| 11 | Drittens hat diese Seite auch den Vorzug der Popularität, der | ||||||
| 12 | gewiß nicht den kleinsten Theil ihrer Empfehlung ausmacht. Der gemeine | ||||||
| 13 | Verstand findet in den Ideen des unbedingten Anfangs aller Synthesis | ||||||
| 14 | nicht die mindeste Schwierigkeit, da er ohnedem mehr gewohnt ist, zu den | ||||||
| 15 | Folgen abwärts zu gehen, als zu den Gründen hinaufzusteigen, und hat | ||||||
| 16 | in den Begriffen des absolut Ersten (über dessen Möglichkeit er nicht grübelt) | ||||||
| 17 | eine Gemächlichkeit und zugleich einen festen Punkt, um die Leitschnur | ||||||
| 18 | seiner Schritte daran zu knüpfen, da er hingegen an dem rastlosen | ||||||
| 19 | Aufsteigen vom Bedingten zur Bedingung, jederzeit mit einem Fuße in | ||||||
| 20 | der Luft, gar kein Wohlgefallen finden kann. | ||||||
| 21 | Auf der Seite des Empirismus in Bestimmung der kosmologischen | ||||||
| 22 | Ideen oder der Antithesis findet sich | ||||||
| 23 | Erstlich kein solches praktisches Interesse aus reinen Principien der | ||||||
| 24 | Vernunft, als Moral und Religion bei sich führen. Vielmehr scheint der | ||||||
| 25 | bloße Empirism beiden alle Kraft und Einfluß zu benehmen. Wenn es | ||||||
| 26 | kein von der Welt unterschiedenes Urwesen giebt, wenn die Welt ohne Anfang | ||||||
| 27 | und also auch ohne Urheber, unser Wille nicht frei und die Seele | ||||||
| 28 | von gleicher Theilbarkeit und Verweslichkeit mit der Materie ist: so verlieren | ||||||
| 29 | auch die moralischen Ideen und Grundsätze alle Gültigkeit und | ||||||
| 30 | fallen mit den transscendentalen Ideen, welche ihre theoretische Stütze | ||||||
| 31 | ausmachten. | ||||||
| 32 | Dagegen bietet aber der Empirism dem speculativen Interesse der | ||||||
| 33 | Vernunft Vortheile an, die sehr anlockend sind und diejenigen weit übertreffen, | ||||||
| 34 | die der dogmatische Lehrer der Vernunftideen versprechen mag. | ||||||
| 35 | Nach jenem ist der Verstand jederzeit auf seinem eigenthümlichen Boden, | ||||||
| 36 | nämlich dem Felde von lauter möglichen Erfahrungen, deren Gesetzen er | ||||||
| 37 | nachspüren und vermittelst derselben er seine sichere und faßliche Erkenntniß | ||||||
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