Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 064 |
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| 01 | Raum und Zeit dieser Meinung nach nur Geschöpfe der Einbildungskraft | ||||||
| 02 | sind, deren Quell wirklich in der Erfahrung gesucht werden muß, aus deren | ||||||
| 03 | abstrahirten Verhältnissen die Einbildung etwas gemacht hat, was | ||||||
| 04 | zwar das Allgemeine derselben enthält, aber ohne die Restrictionen, welche | ||||||
| 05 | die Natur mit denselben verknüpft hat, nicht stattfinden kann. Die ersteren | ||||||
| 06 | gewinnen so viel, daß sie für die mathematischen Behauptungen sich das | ||||||
| 07 | Feld der Erscheinungen frei machen. Dagegen verwirren sie sich sehr durch | ||||||
| 08 | eben diese Bedingungen, wenn der Verstand über dieses Feld hinausgehen | ||||||
| 09 | will. Die zweiten gewinnen zwar in Ansehung des letzteren, nämlich daß | ||||||
| 10 | die Vorstellungen von Raum und Zeit ihnen nicht in den Weg kommen, | ||||||
| 11 | wenn sie von Gegenständen nicht als Erscheinungen, sondern bloß im Verhältniß | ||||||
| 12 | auf den Verstand urtheilen wollen; können aber weder von der | ||||||
| 13 | Möglichkeit mathematischer Erkenntnisse a priori (indem ihnen eine wahre | ||||||
| 14 | und objectiv gültige Anschauung a priori fehlt) Grund angeben, noch die | ||||||
| 15 | Erfahrungssätze mit jenen Behauptungen in nothwendige Einstimmung | ||||||
| 16 | bringen. In unserer Theorie von der wahren Beschaffenheit dieser zwei | ||||||
| 17 | ursprünglichen Formen der Sinnlichkeit ist beiden Schwierigkeiten abgeholfen. | ||||||
| 19 | Daß schließlich die transscendentale Ästhetik nicht mehr als diese zwei | ||||||
| 20 | Elemente, nämlich Raum und Zeit, enthalten könne, ist daraus klar, weil | ||||||
| 21 | alle andre zur Sinnlichkeit gehörige Begriffe, selbst der der Bewegung, | ||||||
| 22 | welcher beide Stücke vereinigt, etwas Empirisches voraussetzen. Denn | ||||||
| 23 | diese setzt die Wahrnehmung von etwas Beweglichem voraus. Im Raum, | ||||||
| 24 | an sich selbst betrachtet, ist aber nichts Bewegliches: daher das Bewegliche | ||||||
| 25 | etwas sein muß, was im Raume nur durch Erfahrung gefunden | ||||||
| 26 | wird, mithin ein empirisches Datum. Eben so kann die transscendentale | ||||||
| 27 | Ästhetik nicht den Begriff der Veränderung unter ihre Data a priori zählen: | ||||||
| 28 | denn die Zeit selbst verändert sich nicht, sondern etwas, das in der | ||||||
| 29 | Zeit ist. Also wird dazu die Wahrnehmung von irgend einem Dasein | ||||||
| 30 | und der Succession seiner Bestimmungen, mithin Erfahrung erfordert. | ||||||
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