| Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 009 | |||||||
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| 01 | welcher Theil der Einnahme den Aufwand tragen könne, und von | ||||||
| 02 | welcher man denselben beschneiden muß. | ||||||
| 03 | Mathematik und Physik sind die beiden theoretischen Erkenntnisse | ||||||
| 04 | der Vernunft, welche ihre Objecte a priori bestimmen sollen, die erstere | ||||||
| 05 | ganz rein, die zweite wenigstens zum Theil rein, dann aber auch nach | ||||||
| 06 | Maßgabe anderer Erkenntnißquellen als der der Vernunft. | ||||||
| 07 | Die Mathematik ist von den frühesten Zeiten her, wohin die Geschichte | ||||||
| 08 | der menschlichen Vernunft reicht, in dem bewundernswürdigen Volke | ||||||
| 09 | der Griechen den sichern Weg einer Wissenschaft gegangen. Allein man | ||||||
| 10 | darf nicht denken, daß es ihr so leicht geworden, wie der Logik, wo die | ||||||
| 11 | Vernunft es nur mit sich selbst zu thun hat, jenen königlichen Weg zu | ||||||
| 12 | treffen, oder vielmehr sich selbst zu bahnen; vielmehr glaube ich, daß es | ||||||
| 13 | lange mit ihr (vornehmlich noch unter den Ägyptern) beim Herumtappen | ||||||
| 14 | geblieben ist, und diese Umänderung einer Revolution zuzuschreiben sei, | ||||||
| 15 | die der glückliche Einfall eines einzigen Mannes in einem Versuche zu | ||||||
| 16 | Stande brachte, von welchem an die Bahn, die man nehmen mußte, nicht | ||||||
| 17 | mehr zu verfehlen war, und der sichere Gang einer Wissenschaft für alle | ||||||
| 18 | Zeiten und in unendliche Weiten eingeschlagen und vorgezeichnet war. | ||||||
| 19 | Die Geschichte dieser Revolution der Denkart, welche viel wichtiger war | ||||||
| 20 | als die Entdeckung des Weges um das berühmte Vorgebirge, und des | ||||||
| 21 | Glücklichen, der sie zu Stande brachte, ist uns nicht aufbehalten. Doch | ||||||
| 22 | beweiset die Sage, welche Diogenes der Laertier uns überliefert, der | ||||||
| 23 | von den kleinsten und nach dem gemeinen Urtheil gar nicht einmal eines | ||||||
| 24 | Beweises benöthigten Elementen der geometrischen Demonstrationen den | ||||||
| 25 | angeblichen Erfinder nennt, daß das Andenken der Veränderung, die | ||||||
| 26 | durch die erste Spur der Entdeckung dieses neuen Weges bewirkt wurde, | ||||||
| 27 | den Mathematikern äußerst wichtig geschienen haben müsse und dadurch | ||||||
| 28 | unvergeßlich geworden sei. Dem ersten, der den gleichschenklichten | ||||||
| 29 | Triangel demonstrirte, (er mag nun Thales oder wie man will geheißen | ||||||
| 30 | haben) dem ging ein Licht auf; denn er fand, daß er nicht dem, | ||||||
| 31 | was er in der Figur sah, oder auch dem bloßen Begriffe derselben nachspüren | ||||||
| 32 | und gleichsam davon ihre Eigenschaften ablernen, sondern durch | ||||||
| 33 | das, was er nach Begriffen selbst a priori hineindachte und darstellte, | ||||||
| 34 | (durch Construction) hervorbringen müsse, und daß er, um sicher etwas | ||||||
| 35 | a priori zu wissen, der Sache nichts beilegen müsse, als was aus dem nothwendig | ||||||
| 36 | folgte, was er seinem Begriffe gemäß selbst in sie gelegt hat. | ||||||
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