Kant: AA II, Untersuchung über die ... , Seite 288 |
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| 01 | ihrer einmal zum Grunde gelegten Erklärung der Gewohnheit gemäß getrost | ||||||
| 02 | Schlüsse machen, welche verloren sind, so bald die Definition trügt. | ||||||
| 03 | Es ist bekannt: daß die meisten Newtonianer noch weiter als Newton | ||||||
| 04 | gehen und behaupten, daß die Körper einander auch in der Entfernung | ||||||
| 05 | unmittelbar (oder, wie sie es nennen, durch den leeren Raum) anziehen. | ||||||
| 06 | Ich lasse die Richtigkeit dieses Satzes, der gewiß viel Grund für sich hat, | ||||||
| 07 | dahin gestellt sein. Allein ich behaupte, daß die Metaphysik zum mindesten | ||||||
| 08 | ihn nicht widerlegt habe. Zuerst sind Körper von einander entfernt, | ||||||
| 09 | wenn sie einander nicht berühren. Dieses ist ganz genau die Bedeutung | ||||||
| 10 | des Worts. Frage ich nun: was verstehe ich unter dem Berühren?, | ||||||
| 11 | so werde ich inne, daß, ohne mich um die Definition zu bekümmern, ich | ||||||
| 12 | doch jederzeit aus dem Widerstande der Undurchdringlichkeit eines andern | ||||||
| 13 | Körpers urtheile, daß ich ihn berühre. Denn ich finde, daß dieser Begriff | ||||||
| 14 | ursprünglich aus dem Gefühl entspringt, wie ich auch durch das Urtheil der | ||||||
| 15 | Augen nur vermuthe, daß eine Materie die andre berühren werde, allein | ||||||
| 16 | bei dem vermerkten Widerstande der Impenetrabilität es allererst gewiß | ||||||
| 17 | weiß. Auf diese Weise, wenn ich sage: ein Körper wirkt in einen entfernten | ||||||
| 18 | unmittelbar, so heißt dieses soviel: er wirkt in ihn unmittelbar, | ||||||
| 19 | aber nicht vermittelst der Undurchdringlichkeit. Es ist aber hiebei garnicht | ||||||
| 20 | abzusehen, warum dieses unmöglich sein soll, es müßte denn jemand | ||||||
| 21 | darthun, die Undurchdringlichkeit sei entweder die einzige Kraft eines Körpers, | ||||||
| 22 | oder er könne wenigstens mit keiner andern unmittelbar wirken, ohne | ||||||
| 23 | es zugleich vermittelst der Impenetrabilität zu thun. Da dieses aber niemals | ||||||
| 24 | bewiesen ist und dem Ansehen nach auch schwerlich wird bewiesen | ||||||
| 25 | werden, so hat zum wenigsten die Metaphysik gar keinen tüchtigen Grund, | ||||||
| 26 | sich wider die unmittelbare Anziehung in die Ferne zu empören. Indessen | ||||||
| 27 | lasset die Beweisgründe der Metaphysiker auftreten. Zuvörderst | ||||||
| 28 | erscheint die Definition: Die unmittelbare gegenseitige Gegenwart zweier | ||||||
| 29 | Körper ist die Berührung. Hieraus folgt: wenn zwei Körper in einander | ||||||
| 30 | unmittelbar wirken, so berühren sie einander. Dinge, die sich berühren, | ||||||
| 31 | sind nicht entfernt. Mithin wirken zwei Körper niemals in | ||||||
| 32 | der Entfernung unmittelbar in einander etc. Die Definition ist erschlichen. | ||||||
| 33 | Nicht jede unmittelbare Gegenwart ist eine Berührung, sondern | ||||||
| 34 | nur die vermittelst der Impenetrabilität, und alles übrige ist in den | ||||||
| 35 | Wind gebauet. | ||||||
| 36 | Ich fahre in meiner Abhandlung weiter fort. Es erhellt aus dem angeführten | ||||||
| 37 | Beispiele: daß man viel von einem Gegenstande mit Gewißheit | ||||||
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