Kant: AA II, Die falsche Spitzfindigkeit der ... , Seite 056

     
           
 

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  01 Absicht erwägt, in der sie erfunden worden und noch immer vorgetragen      
  02 werden, so wird man anders urtheilen. Wenn es darauf ankäme, eine      
  03 Menge von Schlüssen, die unter die Haupturtheile gemengt wären, mit      
  04 diesen so zu verwickeln, daß, indem einige ausgedrückt, andere verschwiegen      
  05 würden, es viele Kunst kostete, ihre Übereinstimmung mit den Regeln zu      
  06 schließen zu beurtheilen, so würde man wohl eben nicht mehr Figuren,      
  07 aber doch mehr räthselhafte Schlüsse, die Kopfbrechens genug machen      
  08 könnten, noch dazu ersinnen können. Es ist aber der Zweck der Logik, nicht      
  09 zu verwickeln, sondern aufzulösen, nicht verdeckt, sondern augenscheinlich      
  10 etwas vorzutragen. Daher sollen diese vier Schlußarten einfach, unvermengt      
  11 und ohne verdeckte Nebenschlüsse sein, sonst ist ihnen die Freiheit      
  12 nicht zugestanden, in einem logischen Vortrage als Formeln der deutlichsten      
  13 Vorstellung eines Vernunftschlusses zu erscheinen. Es ist auch gewiß,      
  14 daß bis daher alle Logiker sie für einfache Vernunftschlüsse ohne nothwendige      
  15 Dazwischensetzung von andern Urtheilen angesehen haben, sonst      
  16 würde ihnen niemals dieses Bürgerrecht sein ertheilt worden. Es sind also      
  17 die übrige drei Schlußarten als Regeln der Vernunftschlüsse überhaupt      
  18 richtig, als solche aber, die einen einfachen und reinen Schluß enthielten,      
  19 falsch. Diese Unrichtigkeit, welche es zu einem Rechte macht, Einsichten      
  20 verwickeln zu dürfen, anstatt daß die Logik zu ihrem eigenthümlichen      
  21 Zwecke hat, alles auf die einfachste Erkenntnißart zu bringen, ist um desto      
  22 größer, je mehr besondere Regeln (deren eine jede Figur etliche eigene hat)      
  23 nöthig sind, um bei diesen Seitensprüngen sich nicht selbst ein Bein unterzuschlagen.      
  24 In der That, wo jemals auf eine gänzlich unnütze Sache viel      
  25 Scharfsinnigkeit verwandt und viel scheinbare Gelehrsamkeit verschwendet      
  26 worden ist, so ist es diese. Die sogenannte Modi, die in jeder Figur      
  27 möglich sind, durch seltsame Wörter angedeutet, die zugleich mit viel geheimer      
  28 Kunst Buchstaben enthalten, welche die Verwandlung in die erste      
  29 erleichtern, werden künftighin eine schätzbare Seltenheit von der Denkungsart      
  30 des menschlichen Verstandes enthalten, wenn dereinst der ehrwürdige      
  31 Rost des Alterthums einer besser unterwiesnen Nachkommenschaft die emsige      
  32 und vergebliche Bemühungen ihren Vorfahren an diesen Überbleibseln      
  33 wird bewundern und bedauren lehren.      
           
  34 Es ist auch leicht, die erste Veranlassung zu dieser Spitzfindigkeit zu      
  35 entdecken. Derjenige so zuerst einen Syllogismus in drei Reihen übereinander      
  36 schrieb, ihn wie ein Schachbrett ansah, und versuchte, was aus der      
  37 Versetzung der Stellen des Mittelbegriffs herauskommen möchte, der war      
           
     

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