Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 155

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 wirklich anzunehmen zur Religion nicht nothwendig erfordert wird, so      
  02 würde er ein reiner Rationalist genannt werden können; hält er aber      
  03 den Glauben an dieselbe zur allgemeinen Religion für nothwendig, so      
  04 würde er der reine Supernaturalist in Glaubenssachen heißen können.      
  05 Der Rationalist muß sich vermöge dieses seines Titels von selbst      
  06 schon innerhalb der Schranken der menschlichen Einsicht halten. Daher      
  07 wird er nie als Naturalist absprechen und weder die innere Möglichkeit      
  08 der Offenbarung überhaupt, noch die Nothwendigkeit einer Offenbarung      
  09 als eines göttlichen Mittels zur Introduction der wahren Religion bestreiten;      
  10 denn hierüber kann kein Mensch durch Vernunft etwas ausmachen.      
  11 Also kann die Streitfrage nur die wechselseitigen Ansprüche des      
  12 reinen Rationalisten und des Supernaturalisten in Glaubenssachen, oder      
  13 dasjenige betreffen, was der eine oder der andere als zur alleinigen      
  14 wahren Religion nothwendig und hinlänglich, oder nur als zufällig an      
  15 ihr annimmt.      
           
  16 Wenn man die Religion nicht nach ihrem ersten Ursprunge und      
  17 ihrer innern Möglichkeit (da sie in natürliche und geoffenbarte eingetheilt      
  18 wird), sondern bloß nach der Beschaffenheit derselben, die sie der äußern      
  19 Mittheilung fähig macht, eintheilt, so kann sie von zweierlei Art sein:      
  20 entweder die natürliche, von der (wenn sie einmal da ist) jedermann      
  21 durch seine Vernunft überzeugt werden kann, oder eine gelehrte Religion,      
  22 von der man andere nur vermittelst der Gelehrsamkeit (in und      
  23 durch welche sie geleitet werden müssen) überzeugen kann. - Diese Unterscheidung      
  24 ist sehr wichtig, denn man kann aus dem Ursprunge einer      
  25 Religion allein auf ihre Tauglichkeit oder Untauglichkeit, eine allgemeine      
  26 Menschenreligion zu sein, nichts folgern, wohl aber aus ihrer Beschaffenheit      
  27 allgemein mittheilbar zu sein, oder nicht; die erstere Eigenschaft aber      
  28 macht den wesentlichen Charakter derjenigen Religion aus, die jeden      
  29 Menschen verbinden soll.      
           
  30 Es kann demnach eine Religion die natürliche, gleichwohl aber      
  31 auch geoffenbart sein, wenn sie so beschaffen ist, daß die Menschen durch      
  32 den bloßen Gebrauch ihrer Vernunft auf sie von selbst hätten kommen      
  33 können und sollen, ob sie zwar nicht so früh, oder in so weiter Ausbreitung,      
  34 als verlangt wird, auf dieselbe gekommen sein würden, mithin      
  35 eine Offenbarung derselben zu einer gewissen Zeit und an einem gewissen      
  36 Ort weise und für das menschliche Geschlecht sehr ersprießlich sein konnte,      
  37 so doch, daß, wenn die dadurch eingeführte Religion einmal da ist und      
           
     

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