Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 136

     
           
 

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  01 Weltepoche bis zu ihrer Vollendung, die wir nicht als      
  02 empirische Vollendung absehen, sondern auf die wir nur im continuirlichen      
  03 Fortschreiten und Annäherung zum höchsten auf Erden möglichen      
  04 Guten (worin nichts Mystisches ist, sondern alles auf moralische Weise      
  05 natürlich zugeht) hinaussehen, d. i. dazu Anstalt machen können. Die      
  06 Erscheinung des Antichrists, der Chiliasm, die Ankündigung der Naheit      
  07 des Weltendes können vor der Vernunft ihre gute symbolische Bedeutung      
  08 annehmen, und die letztere, als ein (so wie das Lebensende, ob nahe oder      
  09 fern) nicht vorher zu sehendes Ereigniß vorgestellt, drückt sehr gut die      
  10 Nothwendigkeit aus, jederzeit darauf in Bereitschaft zu stehen, in der      
  11 That aber (wenn man diesem Symbol den intellectuellen Sinn unterlegt)      
  12 uns jederzeit wirklich als berufene Bürger eines göttlichen (ethischen)      
  13 Staats anzusehen. "Wenn kommt nun also das Reich Gottes?"      
  14 "Das Reich Gottes kommt nicht in sichtbarer Gestalt. Man wird auch      
  15 nicht sagen: siehe, hier oder da ist es. Denn sehet, das Reich Gottes      
  16 ist inwendig in euch!" (Luc. 17, 21 bis 22) )      
           
           
    *† Hier wird nun ein Reich Gottes, nicht nach einem besonderen Bunde (kein messianisches), sondern ein moralisches (durch bloße Vernunft erkennbares) vorgestellt. Das erstere ( regnum divinum pactitium ) mußte seinen Beweis aus der Geschichte ziehen, und da wird es in das messianische Reich nach dem alten, oder nach dem neuen Bunde eingetheilt. Nun ist es merkwürdig: daß die Verehrer des ersteren (die Juden) sich noch als solche, obzwar in alle Welt zerstreut, erhalten haben, indessen daß anderer Religionsgenossen ihr Glaube mit dem Glauben des Volks, worin sie zerstreut worden, gewöhnlich zusammenschmolz. Dieses Phänomen dünkt vielen so wundersam zu sein, daß sie es nicht wohl als nach dem Laufe der Natur möglich, sondern als außerordentliche Veranstaltung zu einer besonderen göttlichen Absicht beurtheilen. - Aber ein Volk, das eine geschriebene Religion (heilige Bücher) hat, schmilzt mit einem solchen, was (wie das römische Reich - damals die ganze gesittete Welt) keine dergleichen, sondern bloß Gebräuche hat, niemals in einen Glauben zusammen; es macht vielmehr über kurz oder lang Proselyten. Daher auch die Juden nach der babylonischen Gefangenschaft, nach welcher, wie es scheint, ihre heiligen Bücher allererst öffentliche Lectüre wurden, nicht mehr ihres Hanges wegen, fremden Göttern nachzulaufen, beschuldigt werden; zumal die alexandrinische Cultur, die auch auf sie Einfluß haben mußte, ihnen günstig sein konnte, jenen eine systematische Form zu verschaffen. So haben die Parsis, Anhänger der Religion des Zoroasters, ihren Glauben bis jetzt erhalten ungeachtet ihrer Zerstreuung, weil ihre Desturs den Zendavesta hatten. Da hingegen die Hindus, welche unter dem Namen Zigeuner weit und breit zerstreut sind, weil sie aus den Hefen des Volks (den Parias) waren (denen es sogar verboten [Seitenumbruch] *ist, in ihren heiligen Büchern zu lesen), der Vermischung mit fremdem Glauben nicht entgangen sind. Was die Juden aber für sich allein dennoch nicht würden bewirkt haben, das that die christliche und späterhin die mohammedanische Religion, vornehmlich die erstere: weil sie den jüdischen Glauben und die dazu gehörigen heiligen Bücher voraussetzen (wenn gleich die letztere sie für verfälscht ausgiebt). Denn die Juden konnten bei den von ihnen ausgegangenen Christen ihre alten Documente immer wieder auffinden, wenn sie bei ihren Wanderungen, wo die Geschicklichkeit sie zu lesen und daher die Lust sie zu besitzen vielfältig erloschen sein mag, nur die Erinnerung übrig behielten, daß sie deren ehedem einmal gehabt hätten. Daher trifft man außer den gedachten Ländern auch keine Juden, wenn man die wenigen auf der Malabarküste und etwa eine Gemeinde in China ausnimmt (von welchen die ersteren mit ihren Glaubensgenossen in Arabien im beständigen Handelsverkehr sein konnten), obgleich nicht zu zweifeln ist, daß sie sich nicht in jene reichen Länder auch sollten ausgebreitet haben, aber aus Mangel aller Verwandtschaft ihres Glaubens mit den dortigen Glaubensarten in völlige Vergessenheit des ihrigen gerathen sind. Erbauliche Betrachtungen aber auf diese Erhaltung des jüdischen Volks sammt ihrer Religion unter ihnen so nachtheiligen Umständen zu gründen, ist sehr mißlich, weil ein jeder beider Theile dabei seine Rechnung zu finden glaubt. Der eine sieht in der Erhaltung des Volks, wozu er gehört, und seines ungeachtet der Zerstreuung unter so mancherlei Völker unvermischt bleibenden alten Glaubens den Beweis einer dasselbe für ein künftiges Erdenreich aufsparenden besonderen gütigen Vorsehung; der andere nichts als warnende Ruinen eines zerstörten, dem eintretenden Himmelreich sich widersetzenden Staats, die eine besondere Vorsehung noch immer erhält, theils um die alte Weissagung eines von diesem Volke ausgehenden Messias im Andenken aufzubehalten, theils um ein Beispiel der Strafgerechtigkeit, weil es sich hartnäckigerweise einen politischen, nicht einen moralischen Begriff von demselben machen wollte, an ihm zu statuiren.      
           
     

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