Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 115 |
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05 | Das Kennzeichen der wahren Kirche ist ihre Allgemeinheit; hievon | ||||||
06 | aber ist wiederum das Merkmal ihre Nothwendigkeit und ihre nur auf | ||||||
07 | eine einzige Art mögliche Bestimmbarkeit. Nun hat der historische Glaube | ||||||
08 | (der auf Offenbarung als Erfahrung gegründet ist) nur particuläre Gültigkeit, | ||||||
09 | für die nämlich, an welche die Geschichte gelangt ist, worauf er | ||||||
10 | beruht, und enthält wie alle Erfahrungserkenntniß nicht das Bewußtsein, | ||||||
11 | daß der geglaubte Gegenstand so und nicht anders sein müsse, sondern | ||||||
12 | nur, daß er so sei, in sich; mithin enthält er zugleich das Bewußtsein seiner | ||||||
13 | Zufälligkeit. Also kann er zwar zum Kirchenglauben (deren es mehrere | ||||||
14 | geben kann) zulangen, aber nur der reine Religionsglaube, der sich gänzlich | ||||||
15 | auf Vernunft gründet, kann als nothwendig, mithin für den einzigen | ||||||
16 | erkannt werden, der die wahre Kirche auszeichnet. - Wenn also gleich | ||||||
17 | (der unvermeidlichen Einschränkung der menschlichen Vernunft gemäß) | ||||||
18 | ein historischer Glaube als Leitmittel die reine Religion afficirt, doch mit | ||||||
19 | dem Bewußtsein, daß er bloß ein solches sei, und dieser als Kirchenglaube | ||||||
20 | ein Princip bei sich führe, dem reinen Religionsglauben sich continuirlich zu | ||||||
21 | nähern, um jenes Leitmittel endlich entbehren zu können, so kann eine solche | ||||||
22 | Kirche immer die wahre heißen, da aber über historische Glaubenslehren | ||||||
23 | der Streit nie vermieden werden kann, nur die streitende Kirche genannt | ||||||
24 | werden; doch mit der Aussicht, endlich in die unveränderliche und alles | ||||||
25 | vereinigende triumphirende auszuschlagen! Man nennt den Glauben | ||||||
26 | jedes einzelnen, der die moralische Empfänglichkeit (Würdigkeit) mit sich | ||||||
27 | führt, ewig glückselig zu sein, den seligmachenden Glauben. Dieser | ||||||
28 | kann also auch nur ein einziger sein und bei aller Verschiedenheit des | ||||||
29 | Kirchenglaubens doch in jedem angetroffen werden, in welchem er, sich auf | ||||||
30 | sein Ziel, den reinen Religionsglauben, beziehend, praktisch ist. Der Glaube | ||||||
31 | einer gottesdienstlichen Religion ist dagegen ein Frohn= und Lohnglaube | ||||||
32 | ( fides mercennaria, servilis ) und kann nicht für den seligmachenden angesehen | ||||||
33 | werden, weil er nicht moralisch ist. Denn dieser muß ein freier, auf | ||||||
34 | lautere Herzensgesinnungen gegründeter Glaube ( fides ingenua ) sein. Der | ||||||
35 | erstere wähnt durch Handlungen (des cultus ), welche (obzwar mühsam) | ||||||
36 | doch für sich keinen moralischen Werth haben, mithin nur durch Furcht | ||||||
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