Kant: Briefwechsel, Brief 839, An [Carl Arnold Wilmans]. (Entwurf.)

     
           
 

 

 

 

 

 
  An [Carl Arnold Wilmans].      
  (Entwurf.)      
           
  Nach d. 4. Mai 1799.      
           
  Verzeihen Sie es der Schwäche meines von Unpäßlichkeit gedrückt[en]      
  Alters daß ich durch eine mir jetzt nicht ungewöhnliche Zerstreuung      
  Ihren müsahm und weitläuftig ausgearbeiteten Brief vom      
  28 Octobr 1798 bis jetzt unbeantwordtet gelassen habe. Ich hatte      
  mir zu Beendigung einer gewissen unter Händen habenden Arbeit      
  eine Frist genommen und jenen Brief auf solange auf meinem Büreau      
  zurück gelegt auf welchem zugleich der Brief vom 20sten Jan. 1798      
  sich befand aber unter andere Briefe unvorsichtiger Weise geschoben      
  worden so daß da ich nun an die Beantwortung des Ihrigen gehen      
  wollte und Ihre Hand auf dem von 1798 sahe ohne das Datum desselben      
  nachzusehen Ich annahm dieser sey die letztere an mich ergangene      
  Zuschrift und ich müsse die Ihrige schon beantwortet haben: welcher      
  Irrthum desto eher vorfallen konnte, da ich in der That in meiner      
  Antwort, wie auch jetzt geschieht nichts Erhebliches hierauf zu antworten      
  wußte: Durch meinen Freund Hrn. Doct. Med. Iachmann      
  ward ich nach Erhaltung des Ihrigen von diesem Irrthum belehrt      
  und indem ich die Unannehmlichkeit, die ich durch so lange Verzögerung      
  Ihnen verursacht habe bedaure und abbitte, sehe mich überhaupt      
  nicht im Stande eine Ihnen gnügende Antwort auf denselben zu ertheilen      
  weil der Ge[gen]stand ihrer Wahl gantz ausserhalb meiner      
  Sphäre gelegen ist      
           
  Ihr Satz: in dessen Sinn und Behauptung ich schlechterdings      
  mich nicht versetzen kann steht auf der ersten Seite und dem ersten Absatz      
  desselben daß nämlich zwischen Vernunft und Verstand ein ganzlicher      
  Unterschied der letztere aber ein blos materielles Wesen sey.      
  Da nun die materielle Vielheit welche keine Einheit des Bewustseyns      
  des Subjects verstattet mit der das Viele der Vorstellungen in einem      
           
  Bewustseyn verknüpfenden Einheit des Denkens nach meinen Begriffen      
  schlechterdings nicht in demselben Subjecte und dessen Natur vereinbar      
  ist so verzweifle ich daran sie jemals auf gleichen Fuß stellen zu      
  können.      
           
  Vielleicht aber könnten Ihre gewagte Behauptungen doch unter      
  gewissen Modificationen etwas herausbringen was bey fernerer Erörterung      
  und näherer Bestimmung Ihrer Ideen auf ein drittes haltbareres      
  Princip etwa führen möchte als wozu ich mit aufrichtiger      
  Freundschaft Glück wünsche: übrigens aber mit der vollk. Hochacht[ung]      
           
           
           
     

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