Kant: Briefwechsel, Brief 838, Von Carl Arnold Wilmans.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Carl Arnold Wilmans.      
           
  Bielefeld den 4ten May 1799.      
           
  Ehrwürdiger Greis, mein theuerster Lehrer!      
           
  Ich kann es nicht unterlassen, Ihre mir so ehrwürdige Ruhe, oder      
  auch vielleicht noch immer Ihre so wohltätigen Arbeiten, jedoch nur      
           
  mit einigen Zeilen, zu unterbrechen. Es ist eine so drückende und      
  schmerzliche Empfindung, wenn ich denken muß, daß ich vielleicht das      
  anfänglich so gütig geäußerte Wohlwollen eines Mannes wie Sie      
  gegen mich verscherzt habe. In diesem Zutrauen auf Ihre wohlwollende      
  Nachsicht schrieb ich vor ohngefähr einem halben Iahre einen sehr      
  langen Brief an Sie, welchem ich zugleich einige Abhandlungen von      
  mir beifügte, um vielleicht ein prüfendes Wort darüber von Ihnen zu      
  erhalten. Ich hätte so gern über die in jenem Briefe enthaltenen      
  Vorstellungen irgend ein Urtheil, wäre es nun Aufmunterung oder      
  Tadel gewesen, von Ihnen gehört. Noch jezt interessiren mich diese      
  Ideen, und ich bin ungewiß, ob nicht vielleicht das ganze Päkchen      
  verloren gegangen seyn könnte, welches mir um so unangenehmer seyn      
  würde, da ich weder eine Abschrift von dem Briefe genommen, noch      
  sonst die darin enthaltenen Gedanken aufgezeichnet habe. Deswegen      
  fügte ich dem Briefe zugleich den Wunsch bei, ihn, wenn Sie den      
  Inhalt nicht ganz verwerflich finden sollten, mit Ihrem gütigen Urtheile      
  wieder zurück zu erhalten. Ich weiß nicht, ob ich nun jezt zu      
  viel bitte, wenn ich mich an Ihre wohlwollende Güte wende, um vielleicht,      
  wenn es Ihnen möglich ist, einige beruhigende Zeilen von      
  Ihnen zu erhalten. Sie wissen es selbst, wie viel Ihr Wort bei allen      
  Ihren Schülern gilt, und ich mögte Sie gern überzeugen, daß es vor      
  allen mir ehrwürdig ist, der ich eine so gütige Aufnahme von Ihnen      
  erfuhr. Vielleicht wagte ich eine zu große Bitte, indem ich Ihnen      
  zumuthete, jenen langen Brief durchzulesen; aber auch mein würdiger      
  Lehrer, der Prof. Reil in Halle, munterte mich auf, den Brief abzuschicken,      
  indem er dem Inhalte gröstentheils beistimmte. Am meisten      
  vermogten mich indessen dazu doch die öftern Unterredungen mit      
  meinem geschäzten Freunde, dem Prof. Beck in Halle, der Sie persönlich      
  kennt, und mir durch diese Kenntnis ein so warmes Vertrauen      
  zu Ihnen einflößte.      
           
  Ihre Stunden sind mir zu ehrwürdig, als daß ich länger Sie unterbrechen      
  dürfte. Ich empfehle Ihrem prüfenden Blicke meine kleinen      
  Arbeiten, und freue mich, mich zu Ihren Schülern zählen zu dürfen.      
           
  Mit unbeschränkter Hochachtung und Ehrfurcht bin ich      
           
    Ihr      
    dankbarst verbundener Schüler      
    C A Wilmans      
           
           
  Ich bin jezt in Bielefeld, wo ich als practischer Arzt lebe. Ich      
  würde meine Medicin. Dissert. überschickt haben, wenn ich nicht glauben      
  müßte, daß sie, der damahls nöthigen Eile wegen ein zu unreifes      
  Product ist.      
           
           
           
     

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