Kant: Briefwechsel, Brief 835, Von Gotthilf August Kuhn.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Gotthilf August Kuhn.      
           
  5. März 1799.      
           
  Mein Theuerster und Höchstverehrungswürdiger Herr Profeßor.      
           
  Es macht mir viel Freude durch meinen August von Zeit zu      
  Zeit zu erfahren daß Sie sich recht wohl befinden Möge ich doch      
  nie eine andre Botschaft erhalten! Sie, Verehrungswürdigster! und      
  mein 89jähriger Vater, sind die werthen und lieben Personen die      
  mich am nächsten angehen, ich würde - wie Fontenelle bei seinem      
  Abschiede sagte: quelque difficulté d'ètre empfinden, sollte ich einst      
  von dem angenehmen Daseyn Abschied nehmen, welches Sie beide mir      
  stets gegenwärtig macht. Aber wozu dergleichen Phantome der konstruirten      
  Einbildung? Das Gute und Wahre, ist den intell[e]ktuellen      
  Wesen eben so gemein, als die Schwere den Körpern. Zerstäuben      
  diese gleich in dem sinnlich Theillosen, so bleibt das Verhältnis des      
  DekatillonPartikelchens zur Masse aller Materie, immer das Nehmliche.      
  Eben so, muß geistige Kraft, immer bleiben was sie im Verhältnis      
  gegen - alle Urkraft ist In dem Verstande nehme ich was Paul      
  sagt. "in Ihm leben weben und sind wir" und kehre mich nicht an      
  die Erscheinungen      
           
  Mein August schikte mir so eben eine Erquikkung die ich lange,      
  so schön nicht genoß. Es ist: der Streit der Fakultäten. Welcher      
  Reichthum, von Ideen, von Scharfsinn, von ewiger Wahrheit! Voltaire      
  der Greis, schrieb seine Princesse de Babilone , zum Beweise daß: das      
  Gemüth nie altert. Ienes Werk aber ist, wahres Waßer neuen Lebens,      
  wenn ich mich so apokalyptisch ausdrükken darf. Sie entsinnen sich      
  vielleicht, daß Friederich, Voltairen eine Statue von Porcellan die, ihn      
  abbildete und die Inschrift: Viro immortali , hatte, zuschikte, wofür      
  sich dieser durch folgendes Epigram bedankte:      
           
           
  Vous êtes genereux vos bontés souveraines      
  Me font de trop nobles présens      
  Vous, me donnés sur mes vieux ans      
  Une terre, dans - Vos - - Domaines      
           
  Wie tief steht aber die egoistische Domaine des WeltRuhms unter      
  dem Defrichement des Vernunftbodens, den; BonzenLava, ManzenillenPolitik,      
  und Equisetum des falschen Geschmaks, versteinert und      
  seit Iahrtausenden als francs-Seigneurs in Besitz hatten      
           
  Res sacra miser - gleichwol kommt mirs vor, daß Sie Theuerster      
  Herr Profeßor, dem edlen W. zu menschenfreundlich, gute Absichten      
  bei seinen Obskuranten Planen unterlegen. Er war in seiner Art ein      
  Kulikan, zu dem seine Mörder sagten. du hast keine Menschlichkeit      
  erwiesen und verdienst auch keine! Zwei Mal habe ich ihm selbst      
  Gelegenheit gegeben etwas Schönes zu thun, welches Er - nicht that.      
  Einmal bat ich ihn unsern KirchenInspector zu versorgen der ein      
  Biedermann, Vater einer starken Familie von Nahrungskummer unterdrükt,      
  und über das alles - nicht wenig starowersczi ist. Aber, ohnerachtet      
  alles Trachtens, wollte man ihm nichts - außer dem Reich      
  Gottes - zufallen laßen. Ferner, stellte ich ihm zu andrer Zeit die      
  große Noth des hiesigen, besonders Protestantischen, Lazari vor,      
  und ersuchte ihn, denselben an den Königlichen Allmosen welche, aus      
  dem Lottofonds an Danzig und andere Städte gegeben werden, um      
  so mehr Theil nehmen zu laßen, als würklich, die Lotterie ehe sie nach      
  Danzig von hier emigrirte den Armen, die Gelder von den derelinquirten      
  Loosen etc. zufließen ließ. Aber was gehn die Armen den Ministre      
  der reinen Lehre an? Die special-Allerhöchste Resolution, wurde nicht      
  einmal unter dem Rubro: herrschaftliche Sachen, an mich überschikt.      
  Von einem solchen durchaus unpraktischen Mann, läßt sich denn wol      
  unmöglich etwas Gutes glauben. Sollte er, seine theuern Augen durch      
  das Lesen Ihres Streits d. F. profaniren, so traue ich ihm zu, daß:      
  er bei der Stelle wo sie von den Ihrigen reden, mit frommer Miene      
  die Stelle aus den libris tristium anwenden würde.      
  Cur coecos juvit? Cur - noxia lumina, facit .      
           
  Allein ich hoffe, der Himmel wird das 2te Auge desto gesunder      
  erhalten. Die besondre Eigenschaft der apokalyptischen Zahlen, bestärkt      
  ganz gewiß die böse Vermuthung - ob nicht eben dieses veste Prophetische      
           
  Wort, eben darum so vest ist, weil es einen Esra gab.      
  So erklärt sich das Würkende und die Würkung von selbst, und auch      
  der kleine Umstand daß wir von ao I. unsre Iahrbücher anfangen,      
  ohnerachtet wohl 1000 Iahre vergangen seyn mögen, bis die dekadische      
  Zahl erfunden und begriffen wurde. Bei den kleinen algebraischen      
  Uebungen meines Augusts, war ich im Stande ziemlich intrikate Aufgaben,      
  logisch durch Aufsuchung der 1ten Einheit, oder des Theils      
  woraus das Ganze ursprünglich zusammen gesetzt ist, zu lösen. Würde      
  auf diese Art: ein Erstes Menschenpaar supponirt, ein MenschenAlter      
  20 Iahr und der Ehesegen für jedes Paar, etwa 1 à angeschlagen;      
  hierauf aber, die Rechnung bis auf die Zahl der jetzt ohngefehr lebenden      
  1000 (?) Millionen Menschen fortgesezt, so würde sich doch etwas      
  Wahrscheinliches über die Weltdauer urtheilen laßen, und ich fürchte      
  sehr daß: diese Zahl mit der Hebräischen Chronologie - die gewißermaßen      
  schon, durch die Samaritanische und die LXX . widerlegt wird,      
  nur durch ein Wunder stimmen würde.      
           
  Der Zufall, begünstigt oft den Glauben an gewiße Dinge. So      
  ist es sonderbar, daß: die Pohlnischen Weißagungen nur bis auf den      
  letzten König gehn und sich mit dem Stoßseufzer schließen: Sic transeunt      
  felicia regna.      
           
  Eben so sezt der Malachias bei dem jezzigen Pabst: Peregrinus      
  Apostolicus, welches nur zu genau eingetroffen ist. Weil er den      
  Namen Pius angenommen hat, so könte man gar in der Aeneis eine      
  Prophezeihung seines jezigen Schiksals finden, wenn es da heißt:      
  - - - nec Te tua plurima Panthû      
  Labentem, Pietas, nec Apollinis Infula texit !      
           
  Die Römer waren Meister in der Politischen Magie, wer wei      
  was sie alles konten? Freilich, waren die Philosophen auch damals      
  hierinn totale Laien, und keiner betrog sich gröblicher als Cicero,      
  wenn er sagte: ego doleam, si, ad decem millia annorum gentem      
  aliquam urbe nostra potituram putem .      
           
  Desto wahrer bleibt es was er von der Pflichterfüllung behauptet:      
  Haec praescripta servantem, licet, magnifice, graviter animoseque      
  vivere - Allein, diese Freiheit des Geistes bin ich weit      
  mehr Ihnen, als dem guten Cicero schuldig, und ich hoffe, daß: noch      
  nach 10,000 Iahren die Grundsätze der Tugend und des Verstandes      
           
  unverlezlich seyn werden, welche mich bestimmen, heut, und ohn Aufhören      
  verehrungsvoll zu seyn      
           
    Meines Höchstwürdigen Lehrers      
  Stolzenberg den 5ten März ganz eigner und treu      
  1799. gehorsamster Diener      
    und Freund Kuhn.      
           
           
           
     

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