Kant: Briefwechsel, Brief 787, Von Iohann Heinrich Tieftrunk. |
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Von Iohann Heinrich Tieftrunk. | |||||||
(Bruchstück.) | |||||||
[5. Nov. 1797.] | |||||||
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. . . . . . . . . . und Nacheinander liegt nicht in der | |||||||
Kategorie Größe an sich, sondern entspringt erst durch Einfluß der | |||||||
Apperception anf die Sinnlichkeit, indem Iene Diese, gemäß ihrer Form, | |||||||
(ihrer Art, bestimmt werden zu können) bestimmt. Die Folge aus | |||||||
dieser Bestimmung vermittelst der Einbildungskraft ist Erzeugung des | |||||||
Raums und der Zeit, als formaler Anschauungen; wodurch dann die | |||||||
Vorstellung des Außereinander und Nacheinander etc. möglich wird. | |||||||
Das πρωτον ψευδος liegt darinn. Sinn, Einbildungskraft und | |||||||
Apperception fallen in die Erzeugung der formalen Anschauung (Raum | |||||||
und Zeit) zusammen und weil dies ist, so meint man, die Kategorie | |||||||
(Größe) bestehe an sich auch in nichts anderm als in der Vorstellung | |||||||
( actu ) Raum und Zeit. | |||||||
Man kann sich aber bewußtwerden, daß die ursprüngliche und | |||||||
reine Apperception für sich bestehe und unabhängig von allem Sinnlichen | |||||||
eine eigenthümliche Function des Gemüths, wie die oberste sei, | |||||||
von welcher alle Erkenntniß anhebt, ob sie gleich nicht alles, was | |||||||
zur Erkenntniß gehört, aus sich hergibt. Das Eigenthümliche der | |||||||
Kategorie Größe (wodurch sie sich zugleich von der Form der Sinnlichkeit, | |||||||
Raum und Zeit, unterscheidet) ist Actus der Einheit (Synthesis | |||||||
intellectualis) des Gleichartigmannigfaltigen. Die Grundbedingung | |||||||
dieses Actus der Einheit ist Synthesis zu Einem, dadurch wird möglich | |||||||
Synthesis des Einen zu Einem, d. i. des Vielen und das Viele | |||||||
wiederum zu Einem verbunden ist Alles. Hier ist noch gar nichts von | |||||||
Raum und Zeit oder einem wirklichen Quantum enthalten; bloß die | |||||||
Regel oder die Bedingung ist angegeben, unter welchen ein Quantum | |||||||
allein appercipirt werden könne; es müsse nämlich ein Gleichartigmannigfaltiges | |||||||
zu Einem, Vielem oder Allem synthesirt werden können: | |||||||
Die größte Schwierigkeit scheint sich bei der Kategorie Qualität | |||||||
hervorzuthun; weil es die feinste Spekulation erfordert, um hier das Reine | |||||||
vom Empirischen abzusondern und aufzufassen. Man hält Empfindung | |||||||
und Realität für einerlei, glaubt demnach alle Empfindung, z. B. so gar | |||||||
Luft und Licht a priori deduciren zu können, wie HE. Fichte; oder | |||||||
man hält sie gänzlich für empirisch, so daß die Kategorie Realität mit der | |||||||
Erzeugung des Empirischen eins und ebendasselbe sei; wie HE Beck. Ich | |||||||
bin hier anderer Meinung, glaube auch die Kritik der r. V. hier anders verstehen | |||||||
zu müssen. - Hier ist meine Darlegung, von welcher ich zu wissen | |||||||
wünschte, ob sie Ihnen, der Sache und der Klarmachung nach, genüge. | |||||||
Iede Empfindung, als solche, (als empirisches Bewußtsein) enthält | |||||||
zweierlei, etwas Subiektives und Obiektives. Ienes gehört dem | |||||||
Sinne und ist das Empirische (in strengster Bedeutung), dieses gehört | |||||||
der Apperception und ist das Reine (in strengster Bedeutung). Was | |||||||
ist es nun, das der Apperception als solcher, in ieder Empfindung | |||||||
gehört? Ich antworte: Das, wodurch sie ein Quale überhaupt ist*). | |||||||
Die Function des Selbstbewußtseins unter dem Titel der Qualität besteht | |||||||
im Setzen. Der Actus des Setzens ist Bedingung a priori der | |||||||
Apperception, mithin Bedingung der Möglichkeit alles empirischen Bewußtseins. | |||||||
Das Setzen, als Function des Gemüths, ist Spontaneität | |||||||
und, wie alle Function des Selbstbewußtseins, ein selbstthätiges Zusammen | |||||||
setzen, folglich Function der Einheit. Die Einheit im | |||||||
Setzen ist nur dadurch möglich, daß die Apperception ihr Setzen bestimme. | |||||||
Bestimmung des Setzens ist Bedingung der Möglichkeit der | |||||||
Einheit des Setzens. Die Function der Bestimmung des Setzens besteht | |||||||
aber in der Verknüpfung des Setzens und Nichtsetzens zu einem | |||||||
Begriff (als Actus der Spontaneität) d. i. Gradesbestimmung | |||||||
(Gradation). Das bestimmte Setzen ist also mit der Gradesbestimmung | |||||||
einerlei, und wie das Setzen ursprüngliche Function der Apperception | |||||||
ist, so ist die Gradesbestimmung (Gradation, Limitation, Verknüpfung | |||||||
des Setzens und Nichtsetzens zu einem Begriff,) Bedingung a priori | |||||||
der Einheit des Setzens. Die Function der Einheit dieses Setzens | |||||||
heißt Gradesbestimmung (Intension) und das Produkt derselben ist | |||||||
ein bestimmtes Reale (intensive Größe). Die auf solche Art erzeugte | |||||||
Einheit ist keine Einheit der Menge, durch Synthesis der Theile zum | |||||||
Ganzen, sondern Einheit schlechthin durch die sich im Setzen selbst bestimmende | |||||||
Apperception. Es entspringt aber diese Einheit aus der | |||||||
Verknüpfung des Setzens (=1) und Nichtsetzens (=0) zu einem | |||||||
Begriff, da nun zwischen 0 und 1 unendliche Bestimmungen des Setzens | |||||||
und Nichtsetzens zur Einheit möglich sind, so finden zwischen 1 und 0 | |||||||
unendliche Grade statt, die aber immer Einheiten sind und darauf beruhen, | |||||||
daß die Apperception ihr Setzen nach einer ihr a priori nothwendigen | |||||||
Regel (der Gradation) bestimmt. Alles Dasein beruht nun | |||||||
auch auf diesem ursprünglichen Setzen und das Dasein ist eigentlich | |||||||
nichts anders, als ein Gesetztsein; ohne den ursprünglichen und reinen | |||||||
Actus der Spontaneität (der Apperception) ist oder existirt nichts. | |||||||
Die Gradesbestimmung in der Apperception ist also Princip aller Erfahrung | |||||||
u.s.w. | |||||||
In dem Obigen haben wir uns allein bei dem gehalten, was | |||||||
Bedingung der Apperception a priori ist und es kam noch nichts von | |||||||
dem Empirischen vor, was in der Empfindung enthalten ist. Damit | |||||||
nun Empfindung werde, muß zu dem Actus der Apperception in der | |||||||
Gradesbestimmung noch Einbildungskraft (die zusammensetzt nach der | |||||||
Regel der Intension, nicht der Extension) und ein Mannigfaltiges | |||||||
der Sinnlichkeit (durch welche sich das Gemüth zu sich selbst bloß receptiv | |||||||
verhält) und zwar Materielles hinzukommen; durch den Einfluß | |||||||
der Apperception auf die Materie der Sinnlichkeit, indem sie sie (vermittelst | |||||||
der Einbildungskraft) zusammensetzt und auf Gradesbestimmung | |||||||
im Setzen erhebt, entspringt Empfindung, welche zweierlei an sich hat; | |||||||
erstlich etwas a priori, das ist, die Gradesbestimmung (Bestimmung | |||||||
des Setzens zur Einheit der Apperception), zweitens etwas a posteriori, | |||||||
das ist, das Materielle derselben. Ienes gibt die Apperception durch | |||||||
Spontaneität, dieses empfängt sie, um es zu gradiren (um es der Intension, | |||||||
als Bedingung des Selbstbewußtseins zu unterwerfen) wodurch | |||||||
das an sich Rohe und Materielle (der Receptivität) Empfindung, | |||||||
d.i., gradirte Auffassung des Mannigfaltiggleichartigen der Sinnlichkeit, | |||||||
wird. Durch Beziehung der Gradesbestimmung in der Apperception | |||||||
auf das Mannigfaltige des Sinnes wird dieses ein Gesetztes, | |||||||
ein Daseiendes; das nun fernerhin den Principien der Apperception | |||||||
unter dem Titel der Relation anheim fällt. | |||||||
Auf solche Art bleibt mir nun das in voller Kraft, was die | |||||||
Kritik (S. 217 ff.) sagt: "In allen Erscheinungen hat das Reale, was | |||||||
ein Gegenstand der Empfindung ist, einen Grad". Ich sage: in voller | |||||||
Kraft: daß nämlich dieser Satz synthetisch und zwar a priori synthetisch | |||||||
ist. Ferner: "das Reale, was den Empfindungen überhaupt | |||||||
correspondirt, im Gegensatz mit der Negation (- 0) stellt nur etwas | |||||||
vor, dessen Begriff an sich ein Seyn enthält und bedeutet nichts als | |||||||
die Synthesis im empirischen Bewußtsein überhaupt, Nun | |||||||
besteht die Synthesis des transscendentalen Bewußtseins in der Kategorie | |||||||
Qualität im Setzen (Spontaneität), das Setzen ist aber, als | |||||||
Function der Einheit, nur dadurch ein bestimmtes Setzen, daß in ihm | |||||||
Position und Negation zu einem Begriff verbunden wird, welches der | |||||||
Actus der Gradation ist; diese ist also Bedingung alles Setzens, alles | |||||||
Gesetztseins, aller Existenz; mithin etwas a priori Erkennbares in Ansehung | |||||||
alles Empirischen (der Empfindung). Der Satz, welcher dieses | |||||||
aussagt ist daher auch synthetisch, denn er sagt aus, was zu dem Materialen | |||||||
der Sinnlichkeit hinzukommen muß, wenn es Empfindung, ein | |||||||
existirendes, sein soll. Wir anticipiren also dadurch wirklich alle Wahrnehmung | |||||||
(als Auffassung des Empirischen zur Apperception), denn | |||||||
wir stellen ein Gesetz der Möglichkeit derselben auf, indem wir zeigen, | |||||||
daß keine Wahrnehmung möglich ist, ohne Setzung durch die transscendentale | |||||||
Apperception; die Setzung ist aber als Function der Einheit | |||||||
nur dadurch möglich, daß die Apperception gradire, indem weder | |||||||
absolute Nichtsetzung (= 0) noch eine ins Unendliche gehende Setzung | |||||||
(= G) ein für die Apperception möglicher Actus ist; (weil dadurch | |||||||
keine Einheit zu Stande käme, die doch Bedingung der Apperception | |||||||
überhaupt ist. - Da nun das Setzen von 0 anhebend biß G fortgehend | |||||||
gedacht werden kann, so finden zwischen 0 und G unendlichviele | |||||||
Grade (als Einheit der Setzung) statt, folglich sind alle Erscheinungen | |||||||
continuirliche Größen, auch dem Grade nach. etc. | |||||||
So denke ich mir diese dem Anschein nach leichte, der Wahrheit | |||||||
nach aber schwere Probleme der Transscendentalphilosophie. Faßt man | |||||||
sie aber richtig so geben sie den Schlüssel zu allem Folgenden. | |||||||
Ihnen will ich durch dies alles nichts neues sagen, sondern nur darlegen, | |||||||
wie ich Sie und mich selbst verstehe. Sie mögen zugleich hieraus | |||||||
urtheilen, ob ich wohl im Stande bin, die Sache der Kritik auf mich zu | |||||||
nehmen. (das heißt hier nichts anders, als sie wohl verstanden haben). | |||||||
* * * | |||||||
Aber woher nun das Mannigfaltige der Empfindung, was in ihr | |||||||
bloß empirisch ist? Die Apperception gibt nichts als den Grad, | |||||||
d.i. die Einheit in der Synthesis der Wahrnehmung, welche also auf | |||||||
der Spontaneität beruht und Bestimmung des Materialen (der Sinnlichkeit) | |||||||
gemäß einer Regel der Apperception ist. Woher nun das | |||||||
Materiale? aus der Sinnlichkeit. Aber woher hat es die Sinnlichkeit? | |||||||
Von den Obiekten, die sie afficiren? Was ist aber, das sie afficirt? | |||||||
Was sind die Obiekte? sind sie Dinge an sich oder -? | |||||||
Man tummelt sich hier in Fragen ohne Ende herum und gibt | |||||||
zum Theil sehr wiedersinnige Antworten. Mich setzt dieses alles nun | |||||||
eben nicht in Verlegenheit; denn wenn man sich in diesen Fragen versteht, | |||||||
so kann man sich auch die Antwort geben. Doch ist es nicht | |||||||
gleichgültig, wie man sich verständigt; da hier leicht Zweideutigkeiten | |||||||
unterlaufen können. Ich will Ihnen in Kurzem sagen, wie ich den | |||||||
Schwierigkeiten begegne. | |||||||
Der Hauptsatz der Kritik, welchen man nie aus den Augen verliehren | |||||||
muß, ist dieser: daß ein Rückgang zu dem Wesen und den Bedingungen | |||||||
unsers Erkenntnißvermögens, nicht ein Suchen außerhalb | |||||||
demselben, ein Spiel mit bloßen Begriffen, sondern eine Darlegung | |||||||
der Elemente desselben, wie sie im Actus des Erkennens begriffen | |||||||
sind, uns eigentlich über die wesentlichen Probleme der Vernunft | |||||||
Auskunft geben können. - Es ist Factum des Bewußtseins, | |||||||
daß es zwei verschiedene Quellen zur Erkenntniß gibt; Receptivität | |||||||
und Spontaneität. Die zu beweisen ist wiedersinnig, weil sie ursprünglich | |||||||
sind. Man kann sich ihrer nur bewußt werden und sie sich selbst | |||||||
darlegen. Ob sie gleich zwei verschiedene Grundquellen sind, so sind | |||||||
sie doch nur Vermögen eines und desselben Gemüths; und stehen durch | |||||||
dieses in Correspondenz mit einander. Wie wir sagen: die Vorstellungen | |||||||
des Verstandes entstehen durch Spontaneität, so sagen wir, die Vorstellungen | |||||||
der Sinnlichkeit entstehen durch Receptivität. | |||||||
Die Sinnlichkeit gibt Vorstellungen, dadurch daß sie (oder das | |||||||
Gemüth, dessen Vermögen sie ist) afficirt wird. Wenn ich sage: | |||||||
Das Gemüth wird afficirt, so subsumire das Sein, (das Gesetztseyn) | |||||||
gewisser Vorstellungen unter die Kategorie Kausalität und sage ein | |||||||
Verhältniß des Gemüths zu sich selbst aus (Receptivität) welches verschieden | |||||||
ist von einem andern Verhältniße des Gemüths zu sich selbst | |||||||
(worin es als Spontaneität gedacht wird). Frage ich weiter: was afficirt | |||||||
das Gemüth? so sage ich: es afficirt sich selbst, indem es sich Receptivität | |||||||
und Spontaneität zugleich ist. - Aber die Spontaneität des | |||||||
Gemüths unterwirft die Receptivität eben desselben nun ihren Bedingungen | |||||||
der Synthesis (den Kategorien) und das Sinnlichvorgestellte, | |||||||
als solches, bekommt dadurch Bestimmung zur Einheit der Apperception | |||||||
(intellectuelle Form, Quantität, Qualität, Relation etc.); Woher aber | |||||||
das, was die Sinnlichkeit aus ihrem eignen Fond, aus sich selbst, gibt? | |||||||
Woher das Materiale und Empirische, als solches, wenn ich von dem | |||||||
abstrahire, was es durch Einfluß der Spontaneität, gemäß den Formen | |||||||
der Sinnlichkeit, geworden ist? Gibt es die Sinnlichkeit lediglich aus | |||||||
ihrem eignen Fond oder bewirken es etwa Dinge an sich, die von der | |||||||
Sinnlichkeit geschieden und verschieden sind? Ich antworte: Alles, | |||||||
was die Sinnlichkeit gibt (Materie und Form) ist durch ihre Natur | |||||||
bestimmt, nur das für uns zu sein, was es für uns ist. Das In | |||||||
und Außer uns seyn, ist selbst nur eine Art des sinnlichen Vorstellens, | |||||||
gleich wie das Einerleie und Verschiedene nur eine Art des intellectuellen | |||||||
Vorstellens ist. Sieht man von Sinnlichkeit und Verstand | |||||||
weg, so gibt es kein In und Außer, kein Einerleies und Verschiedenes. | |||||||
Da man aber doch nicht umhin kann, zu fragen: welches denn die | |||||||
letzte von allen Bedingungen unsrer Sinnlichkeit (der Form und Materie | |||||||
nach) und der Apperception unabhängige Grund der Vorstellungen | |||||||
sei, so ist die Antwort: dieser letzte Grund ist für unsern Verstand | |||||||
weiter nichts als ein Gedanke in negativer Bedeutung, d.i., ein solcher, | |||||||
dem kein Obiekt entspricht; der aber doch als bloßer Gedanke gar wohl | |||||||
zulässig, ia so gar nothwendig ist, weil sich die theoretische Vernunft | |||||||
im Denken nicht schlechthin eingeschränkt findet auf die uns mögliche | |||||||
Erfahrung und die praktische Vernunft Gründe darbieten kann, einem | |||||||
solchen Gedanken Realität, obgleich nur in praktischer Absicht, zuzugestehen. | |||||||
Man kann von den Dingen an sich, wovon wir bloß einen | |||||||
negativen Begriff haben, nicht sagen: sie afficiren, weil der Begriff | |||||||
der Affection ein reales Verhältniß zwischen erkennbaren Wesen aussagt, | |||||||
folglich zu seinem Gebrauche erfordert, daß die sich verhaltenden | |||||||
Dinge gegeben und positiv bestimmt sein. Man kann daher auch nicht | |||||||
sagen: Die Dinge an sich bringen Vorstellungen von sich in das Gemüth | |||||||
hinein; denn der problematische Begriff von ihnen ist selbst nur | |||||||
ein Beziehungspunkt der Vorstellungen des Gemüths, ein Gedankending. | |||||||
Wir erkennen also durchaus nichts, als Erscheinungen, aber indem | |||||||
wir dieses einsehen, setzen wir zugleich im Gedanken ein Etwas, | |||||||
was Nichterscheinung ist, lassen gleichsam einen leeren Raum durch | |||||||
bloße logische Position für das praktische Erkenntniß. Das Kapitel | |||||||
der Kritik S. 294 ff. läßt hier die wahre Ansicht nicht verfehlen. | |||||||
Wie unterscheidet sich die Anschauung vom Denken? "Iene ist | |||||||
die Vorstellung, die vor allem Denken gegeben sein kann", Kr. S. 339 | |||||||
u. 481. Das Denken (als transscendentale Function) ist die Handlung | |||||||
gegebene Vorstellungen unter ein Bewußtsein überhaupt zu bringen | |||||||
und geht vor aller Anschauung vorher; was nämlich die Dignität der | |||||||
Erkenntniß anbetrifft. | |||||||
Man will, transscendentaliter genommen, daß Anschauen und Denken | |||||||
Eins sei und eben dasselbe. Indirect läßt [sich] hiergegen folgendes | |||||||
sagen: Wäre Anschauen und Denken einerlei so gäbe es keine transscendentale | |||||||
Logik und Aesthetik; alle Begriffe würden absolut auf Erfahrung | |||||||
eingeschränkt sein; welches der Apperception wiederstreitet. Ich | |||||||
kann mir wenigstens den negativen Begriff von einer Erfahrung | |||||||
machen, die nicht die menschliche ist, von einem intuitiven Verstande. | |||||||
Aber auch dieser bloß problematische Begriff würde unmöglich | |||||||
sein, wenn die Kategorien selbst und an sich allein die Erfahrung constituirten. | |||||||
Durch die Erfahrung könnte ich die Erfahrung nicht übersteigen, | |||||||
welches doch wirklich durch die Begriffe der Einheit der Synthesis | |||||||
überhaupt (in Beziehung auf die uns mögliche und nichtmögliche | |||||||
Erfahrung) geschieht. - Auch würde, wenn der Verstand (in | |||||||
seinen Kategorien) bloß und allein der erfahrende wäre, der Übergang | |||||||
zum Praktischen unmöglich sein, denn hier sind es doch bloße Gedanken | |||||||
(ohne Anschauung) wodurch Gesetze, Begriffe und Obiekte für den | |||||||
Willen bestimmt werden. - Man verwechselt die Sphäre der Anwendung | |||||||
der Kategorien mit der Sphäre ihrer Functionen als reiner | |||||||
Formen der Apperception überhaupt. Man meint, weil sie uns nur | |||||||
durch Anwendung in der Erfahrung (indem sie ins Spiel gesetzt werden, | |||||||
welches nur in der Erfahrung, im empirischen Bewußtsein möglich ist) | |||||||
zum Bewußtsein kommen, sie auch darum nicht über die Sphäre | |||||||
ihrer Anwendung erhaben wären. - Dies sind bloße einzelne Striche, | |||||||
die ich mache, um Ihnen einen Wink zu geben, welchen Weg ich, außer | |||||||
der Darlegung der Elemente des Verstandes, nehmen werde, um indirect | |||||||
die Nothwendigkeit der Unterscheidung der Anschauung und des | |||||||
Denkens zu zeigen. Denn ich bin überzeugt, daß die Kritik, wenn sie | |||||||
die möglichen Schwierigkeiten nicht immer ipso verbo berührt oder | |||||||
re ipsa hebt, doch die Principien zur Hebung vollständig in ihr gegeben | |||||||
sind. | |||||||
Nun, mein verehrungswürdigster Freund, Dank für Ihren letzten | |||||||
mir so interessanten und lehrreichen Brief; erfreuen Sie mich, wenn | |||||||
es Ihnen Ihre Zeit erlaubt, bald mit einem neuen Schreiben. Verzeihen | |||||||
Sie die Länge dieses Briefes und falls ein oder der andere | |||||||
Punkt für die Wissenschaft eine Ausbeute aus Ihrem Geiste veranlassen | |||||||
könnte, so versagen Sie der auf Ihr Wort horchenden Welt Ihre Belehrung | |||||||
nicht. - Das Publikum hofft auf eine Anthropologie von | |||||||
Ihnen, wird sie bald erscheinen? - Von der Herausgabe Ihrer kleinen | |||||||
Schriften werde ich das Publikum vorläufig benachrichtigen. - Ihre | |||||||
hiesigen Freunde grüssen Sie herzlichst; auch mein Weib, die mit den | |||||||
kleinen Iungen Ihre Büste so oft betrachtet, wünscht Ihnen alles Gute. | |||||||
Gott nehme Sie in seinen Schutz und erhalte Sie noch lange Ihrem | |||||||
treuen Freund und Diener | |||||||
J. H. Tieftrunk. | |||||||
*) Empfindung nicht blos Anschauung | |||||||
[ abgedruckt in : AA XII, Seite 212 ] [ Brief 786 ] [ Brief 788 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |