Kant: Briefwechsel, Brief 690, Von Philipp Wilhelm Wolf.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Philipp Wilhelm Wolf.      
           
  22. Dec. 1795.      
           
  Verehrungswürdiger Mann,      
           
  Während ein großer Theil Ihrer Verehrer beschäftigt ist, Ihre      
  Geisteswerke in Auszüge zu bringen, für Ungeweihte zu behandeln, zu      
  erweitern, zu vertheidigen, habe ich mich durch eigne Erfahrung überzeugt,      
  daß zur Einsicht in die kritische Philosophie das Studium der      
  Schriften ihres Urhebers selbst nicht nur der sicherste, sondern auch      
  der nächste Weg ist. Aber ein mühevoller Weg, nur wenigen offen.      
           
           
  ich weiß nicht, ob der Wunsch so manches Patrioten, von den      
  Veränderungen in der Philosophie, welche von seinem Vaterlande ausgehn,      
  und die Sehnsucht so manches wißbegierigen Ungelehrten von      
  den großen Verhandlungen über die wichtigsten Wahrheiten einige      
  Kentniß zu nehmen und den Mann, über welchen er so viel und so      
  verschieden urtheilen hört, näher zu kennen - ob diese Wünsche ungerecht      
  sind, und - ob sie nicht durch eine Schrift befriedigt werden      
  könnten, an deren Ausarbeitung ich - wenn Eur Wohlgebohrn sie      
  erlaubten - mich mit freudigem Eifer wagen würde.      
           
  ich wünschte nehmlich, auf nicht vielen Bogen, die gemeinverständlichsten,      
  interessantesten und schöngesagtesten Stellen Ihrer      
  Schriften - vorzüglich der größern, weniger der in Iournalen zerstreuten      
  leichtern - zu sammlen, in Rubriken zu ordnen und allenfals      
  mit wenigen und kurzen Anmerkungen zu erläutern: - Eine      
  Chrestomathie, ungefähr wie man einige aus Luthers Werken hat.      
  Mein Publicum wären: der Unstudirte der selbst denkt; der Studirende,      
  der ehe er sich an Ihre Werke selbst wagt, sich erst mit einigen Ihrer      
  Ideen bekant machen will.      
           
  Hätte mein Plan das Glück von Ihnen gebilligt zu werden: so      
  würde ich mir außer Ihrer Erlaubniß auch noch einen Wink über die      
  Rechte Ihrer Verleger in dieser Rücksicht gehorsamst erbitten; so wie      
  ich überhaupt jede Belehrung, welche Sie mir zur zweckmäßigeren Einrichtung      
  dises Werkchens zukommen zu lassen die Gewogenheit haben      
  würden mit nie versiegendem Danke annehmen werde.      
           
  Auf jeden Fall bleibt meine Verehrung gegen Sie unsterblich.      
           
    Ph. W. Wolf      
  Prenzlau den 22 sten Prediger und Prorector in Prenzlau.      
  December 1795.        
           
           
           
     

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