Kant: Briefwechsel, Brief 661, Von Christoph Friedrich Ammon.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Christoph Friedrich Ammon.      
           
  Göttingen, am 28 n. April 1795.      
           
  Die Antwort, der Sie mich, großer Lehrer, vor einiger Zeit gewürdiget      
  haben, war mir ein unschäzbares Geschenk, dessen Werth      
  iedoch noch durch die beigefügte Versicherung erhöht worden ist, da      
  Sie bereit seien, meine Bemühungen für die Religionswissenschaft noch      
  ferner Ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bin nach einem unbefangenen      
           
  Studium Ihrer vortreflischen Werke vollkommen überzeugt, da      
  die Theologie durchaus keine sichere Haltung hat, wenn sie nicht auf      
  einen moralischen Grund gestüzt wird. Ist mein Glaube an einen      
  höchsten Weltregenten durch die unbedingte Sanction des Sittengesetzes      
  zur Gewißheit gleichsam eingeweihet worden, so mag die forschende      
  Vernunft theils durch die Nothwendigkeit eines absoluten Ideales      
  (ontologisch), theils kosmologisch und teleologisch, in soferne aus der      
  sinnlichen Natur eine Reihe von Zwecken erkennbar ist, das ihrige zur      
  weiteren Befestigung dieses Glaubens beitragen; nur müsse sie es nie      
  unternehmen, die sittliche Vernunft ihren Speculationen unteriochen,      
  und den menschlichen Geist auf ihren eigenen Fittichen in das Luftgebiete      
  einer metaphysischen Theologie tragen zu wollen, wo er, ohne      
  auf moralische Postulate zu fußen, keine Haltung finden wird. Gehen      
  wir hingegen von dem, durch unsere sittliche Natur einzig und allein      
  geheiligten, Glauben an einen moralischen Weltregenten aus, so kan      
  es kaum fehlen, daß uns das Sittengesez nicht zur Religion, und      
  diese zur Theologie hinleite, wodurch wir dann allmählig zur Kentni      
  einer unmittelbar göttlichen Gesezgebung gelangen, nach welcher alle      
  uns in dem Laufe der Geschichte zu handen gekommene statutarische      
  Offenbarungsvorschriften zu beurtheilen und zu würdigen sind. Hieran      
  muß sich der Schriftausleger halten, wenn es ihm am Herzen liegt,      
  die heiligen Urkunden mit dem Systeme einer unveränderlichen      
  moralischen Religionslehre in Harmonie zu bringen. Ist er diesem      
  Geschäfte gewachsen, so bleibt die heilige Geschichte für ihn ein vortrefliches      
  Hülfsmittel, diese Wahrheiten zu erläutern und dem sinnlichen      
  Menschen, bei dem sich moralischreligiöse Kentniße aus historischen      
  entwickeln, anschaulich zu machen; aber aus ihr und aus einzelnen      
  Thatsachen allgemeine Religionssätze hervorgehen zu lassen, ist ein mißliches      
  Unternehmen, welches leicht zu unnützen Speculationen leitet      
  und der wahren Religion selbst nicht selten entgegen wirkt.      
           
  Es ist traurig genug, daß man hie und da - denn hier in      
  Göttingen haben wir freie Hand - nicht einsehen will, daß nur auf      
  diesem Wege eine feststehende Religionslehre gefunden und den PseudoTheologen      
  unserer Zeit entgegen gearbeitet werden kan, die durch ihre      
  einseitigen Aufklärungen es auf nichts Geringeres, als auf den Ruin      
  aller systematischen Theologie angetragen haben. Schon sind Ihre      
  Grundsätze, großer Lehrer, unter unseren besseren Theologen zu allgemein,      
           
  als daß ein plözlicher Stillestand zu befürchten wäre; sie      
  werden zum Segen für die Menschheit wuchern und Früchte tragen für      
  die Ewigkeit.      
           
  Verschmähen Sie, Verehrungswürdiger, diese Zeilen und einige      
  meiner Arbeiten nicht, welche Ihnen diese Messe zustellen wird. Möge      
  die Vorsehung Ihnen der heiteren Tage noch recht viele schenken!      
           
  Ich bin mit unbegrenzter Hochachtung      
           
    Ihr      
    freiester Verehrer      
    C. F. Ammon.      
           
  In Königsberg lebt, soviel ich weiß, ein Doctor Liebeskind aus      
  Anspach. Es würde mich unendlich freuen, wenn ich aus Ihrem      
  Munde diesem würdigen Freunde empfohlen werden könte.      
           
           
           
     

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