Kant: Briefwechsel, Brief 629, Von Carl Friedrich Stäudlin. |
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| Von Carl Friedrich Stäudlin. | |||||||
| Göttingen d. 14 Iun. | |||||||
| 1794. | |||||||
| Groser, Verehrungswürdiger Mann, | |||||||
| Wie sehr ich mich durch Ihren Brief, durch Ihr gegen mich geäussertes | |||||||
| Vertrauen, durch Ihr Geschenk geehrt und erfreut gefühlt | |||||||
| habe, diß kann ich Ihnen nicht ausdrüken. Ich weiß gewiß, daß Sie | |||||||
| die Verspätung meiner Dankbezeugung nicht als das Zeichen eines | |||||||
| Mangels an Dankbarkeit ansehen werden, die von mir in der grösten | |||||||
| Reinheit und Stärke empfunden worden ist und noch izt empfunden | |||||||
| wird. Ich habe schon damals an dem Werke, das ich Ihnen hiemit | |||||||
| überreiche, gearbeitet und hoffte es in kurzer Zeit mit meiner Antwort | |||||||
| an Sie abschiken zu können. Nicht sowohl die Ausarbeitung als der | |||||||
| Druk hat sich so lange verzögert, daß ich auch izt nur den ersten Theil | |||||||
| erhalten habe, ohnerachtet das ganze Manuscript dem Verleger lange | |||||||
| überliefert ist. Es ist mir sehr unangenehm, daß das Ganze nicht | |||||||
| auf einmal erscheinen konnte, indem man es izt nicht auf einmal | |||||||
| übersehen kann und gerade der zweite Theil das Wichtigere und Interessantere | |||||||
| in sich fasst. Doch hoffe ich in ungefähr zwei Monaten | |||||||
| Ihnen auch diesen Theil übersenden zu können. Ich bitte um Nachsicht | |||||||
| in der Beurtheilung. Ich habe zwar zur Erforschung der Quellen | |||||||
| Zeit und Musse genug anwenden können, aber die Ausarbeitung und | |||||||
| Zusammensezung des Ganzen ist die Frucht von Nebenstunden, in | |||||||
| welchen ich öffters von Vorlesungen und andern Geschäfften ermüdet | |||||||
| war und den Einfluß einer geschwächten Gesundheit offt nur zu merklich | |||||||
| fühlte. Ich glaubte aber, daß izt der Zeitpunct wäre, in welchem | |||||||
| ich am schiklichsten mit disem Werke hervortreten könnte. Ob es etwa | |||||||
| nicht ganz unbedeutende Beiträge zur empirischen Psychologie enthalte, | |||||||
| ob die Gesichtspuncte der Geschichte richtig gefasst sind, ob für die | |||||||
| Philosophie selbst etwas dadurch gewonnen werden könne, darüber sind | |||||||
| Sie in jeder Rüksicht der erste Richter. Ich muß noch die viele Drukfehler | |||||||
| entschuldigen, die stehen geblieben sind und zum Theil den Sinn | |||||||
| ganz entstellen. Sie werden entweder in einem Zeitungsblatte oder | |||||||
| beim zweiten Theile angezeigt werden. | |||||||
| Möchten Sie doch dem Publicum bald ihre Anthropologie schenken! | |||||||
| Und könnte mein dringendes Bitten irgend etwas zur Erfüllung dises | |||||||
| Wunsches beitragen! Ich habe noch eine Bitte auf dem Herzen. Ich | |||||||
| habe mich lange besonnen, ob ich sie äussern sollte. Im Vertrauen auf | |||||||
| Ihre Güte und in der Hoffnung, daß sie nicht übel werde aufgenommen | |||||||
| werden, wage ich es. Es wird in kurzer Zeit hier ein Iournal für | |||||||
| die Religionswissenschafft und ihre Geschichte den Anfang nehmen. | |||||||
| Es wird aus Recensionen, Aufsäzen und Nachrichten bestehen. Meine HE. | |||||||
| Collegen, HE. C[onsistorial]R[ath] Plank und D. Schleußner nebst mehreren | |||||||
| auswärtigen Schriftstellern werden daran Antheil nehmen. Wäre es | |||||||
| nicht zu kühn, Sie zu bitten, zuweilen einen Aufsaz dazu zu geben? | |||||||
| Wir würden uns dadurch sehr geehrt finden und unser Iournal würde | |||||||
| dadurch im höchsten Grade gewinnen. Es wird dabei die uneingeschränkteste | |||||||
| Preßfreiheit Statt finden. Das Honorar könnten Sie | |||||||
| nach Belieben bestimmen. | |||||||
| Ich verharre mit der reinsten ungeheucheltsten Verehrung | |||||||
| Ihr | |||||||
| gehorsamer Diener | |||||||
| D. Stäudlin. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 507 ] [ Brief 628 ] [ Brief 630 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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