Kant: Briefwechsel, Brief 622, Von Georg Samuel Albert Mellin. |
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| Von Georg Samuel Albert Mellin. | |||||||
| 12. April 1794. | |||||||
| Wohlgeborner Herr, | |||||||
| Höchstzuverehrender Herr Professor, | |||||||
| Mit einer gewissen, leicht zu erklärenden, Ängstlichkeit, bin ich so | |||||||
| frei, Ew Wohlgeboren ein Exemplar der Marginalien und des Registers | |||||||
| zur Critik der reinen Vernunft zu überreichen. Sie werden die reinste | |||||||
| Absicht, die ich bei der Ausarbeitung derselben immer vor Augen gehabt | |||||||
| und in der Vorrede angegeben habe, nicht verkennen. Mein | |||||||
| Enthusiasmus für die critische Philosophie und das unselige Bemühen | |||||||
| sovieler die Quelle derselben zu trüben, wovon sich einer sogar erdreistete | |||||||
| sich auf dem Titel seiner Schrift Ihres gütigen Beistandes | |||||||
| zu rühmen, bewogen mich vorzüglich zu der Herausgabe dieses Hülfsmittels, | |||||||
| die Uebersicht der Critik zu erleichtern. Möchte ich wenigstens | |||||||
| dadurch Ew Wohlgeboren nicht mißfallen. Habe ich hier und dort gefehlt, | |||||||
| so tröste ich mich damit, wenigstens die Idee der Wissenschaft | |||||||
| nicht so verkannt zu haben, wie der Stifter einer gewissen Schule, der | |||||||
| durch seine Bemühungen etwas neues zu sagen, die critische Philosophie, | |||||||
| zu meinem Leidwesen, so vielen Einwürfen aussetzt, die doch | |||||||
| nicht ihr, sondern dem Dolmetscher derselben zur Last fallen. | |||||||
| Möchte doch die Vorsehung es gut finden Ihnen, verehrungswürdigster | |||||||
| Herr Professor, Gesundheit und Kräfte zu verleihen, zur | |||||||
| Herausgabe der Schriften die Ihre Verehrer so begierig erwarten. Da | |||||||
| ich mir mit der Hoffnung schmeichele, mit einer Antwort von Ew | |||||||
| Wohlgeboren beehrt zu werden, so bin ich so frei Sie um einiges zu | |||||||
| befragen. Allen Verehrern der Critik, die ich noch gesprochen habe | |||||||
| und mir selbst, liegt die Beantwortung der Frage auf dem Herzen; | |||||||
| wie deducirt man die Vollständigkeit der Tafel der Urtheile, auf der | |||||||
| die Vollständigkeit der Tafel der Kategorien beruhet? - - ich habe | |||||||
| nie Ihre Schrift über die Figuren der Syllogismen bekommen können, | |||||||
| und doch möchte ich gern wissen, wie Sie Lamberts Vorstellung von | |||||||
| der Realität der drei übrigen Figuren, im Organon, entkräften und | |||||||
| die Unrichtigkeit derselben beweisen, da Sie in einer Anmerkung zur | |||||||
| Critik sich dagegen erklären. - - In der Religion innerhalb den | |||||||
| Gräntzen, ist eine Anmerkung über die Unbrauchbarkeit der Auferstehung | |||||||
| Iesu zu Vernunftbegriffen, weil sie die Vernunft auf eine einzige Erklärungsart | |||||||
| der Art unsrer Fortdauer nach dem Tode einschränkt. | |||||||
| Aber ist nicht die Auferstehung Iesu bloß ein Symbol der sinnlichen | |||||||
| Fortdauer, die uns in unserm gegenwärtigen Zustande nur | |||||||
| unter dem Bilde einer materiellen Fortdauer vorgestellt werden kan? | |||||||
| Eine kleine Gesellschaft, die ich hier bloß zum Studium der critischen | |||||||
| Philosophie gestiftet habe, und aus dem Prediger Silberschlag, | |||||||
| Sohn des ehemaligen Oberkons. Raths, dem Prediger Fritze, dem | |||||||
| Rector Neide, einem Lehrer an Klosterfrau Namens Rolle, Sohn des | |||||||
| berühmten Musikdirektors, und einem jetzt in Halle als Hofmeister | |||||||
| lebenden Rolof besteht, versichern Ew Wohlgebornen nebst mir, ihre | |||||||
| innigste Verehrung. Diese Gesellschaft haben wir vor 2 1/2 Iahren | |||||||
| gestiftet. Sie hat den Nutzen bewirkt, daß das Studium der critischen | |||||||
| Philosophie sich hier sehr ausbreitet. Möchten wir nur bald eine | |||||||
| Transscendentalphilosophie, eine Metaphysik der Sitten, Anthropologie | |||||||
| und Moral von Ihnen bekommen. Mit Sehnsucht ergreifen wir immer den Meßcatalog. | |||||||
| ich rechne es zu dem größten Glück meines Lebens, und mit mir | |||||||
| gewiß schon in Deutschland eine große Anzahl denkender Menschen, | |||||||
| Ew Wohlgeboren Zeitgenosse zu seyn und von Ihnen zu lernen. Vergeblich | |||||||
| würde ich Worte suchen die vollkommenste und größte Hochachtung | |||||||
| auszudrücken mit der ich, so lange ich denken kan und das | |||||||
| Bewußtseyn habe wem ich meine Erkentniß verdanke, stets seyn werde | |||||||
| Ew Wohlgebornen | |||||||
| Magdeburg | |||||||
| den 12t. April 1794. | aufrichtigster und | ||||||
| innigster Verehrer | |||||||
| Mellin | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 497 ] [ Brief 621 ] [ Brief 623 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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