Kant: Briefwechsel, Brief 596, Von Iohann Erich Biester.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Erich Biester.      
           
  Berlin, d. 5 Oktob. 1793.      
           
  Endlich bin ich im Stande, mein Verehrungswürdigster Freund,      
  Ihnen das neue Quartal der Berl. Monatsschrift zuzusenden; u. ich      
  thue es mit dem allerverpflichtetesten Danke für den treflichen Aufsatz      
  im September. Er ist, Ihrem Willen gemäß, ungetheilt in einem      
  Stücke abgedruckt. Wie reichhaltig an den wichtigsten Belehrungen      
  ist er nicht! Vorzüglich hat mir die Ausführung des zweiten Abschnittes      
  ganz ungemein gefallen, wegen der neuen Vorstellungsart u.      
  der meisterhaften Entwicklung der Begriffe. Um ganz unverhohlen zu      
  reden, hat er mir vielleicht darum um desto mehr gefallen, weil er      
  mir das (von Anfang an mir unwahrscheinliche) Gerücht zu widerlegen      
  scheint, als hätten Sie Sich sehr günstig über die mir immer ekelhafter      
  werdende französische Revoluzion erklärt, worin doch die eigentliche      
  Freiheit der Vernunft u. die Moralität u. alle weise Staatskunst u.      
  Gesetzgebung auf das schändlichste mit den Füßen getreten werden,      
  und welche selbst, wie ich aus Ihrer itzigen Abhandlung lerne, das      
  allgemeine Staatsrecht u. den Begrif einer bürgerlichen Verfassung      
  aufs das gröbste verletzet u. aufhebt. Freilich ist das Kopfabschneiden      
  (vornehmlich wenn man es durch Andere thun lässt) leichter, als die      
  starkmüthige Auseinandersetzung der Vernunft= und Rechtsgründe gegen      
  einen Despoten, sei er ein Sultan oder ein despotischer Pöbel; bis itzt      
  sehe ich aber bei den Franzosen nur jene leichteren Operazionen der      
  blutigen Hände, nicht der prüfenden Vernunft.      
           
  In Absicht Ihres ersten Abschnittes, wünschte ich wohl, daß Sie      
  den Aufsatz von Schiller "Ueber Anmuth u Würde" (in der      
  Thalia 1793 Stück 2; auch einzeln gedruckt) einmal ansehn, u. gelegentlich      
  auf dasjenige Rücksicht nehmen mögten, was er recht speciös      
           
  über Ihr Moralsystem sagt, daß nehmlich darin zu sehr die harte      
  Stimme der Pflicht (eines zwar von der Vernunft selbst vorgeschriebenen,      
  aber gewissermaßen doch fremden Gesetzes) ertöne, u. zu wenig auf      
  die Neigung Rücksicht genommen sei.      
           
  Mit Ihrem Auftrage u. Hrn Brahls Briefe bin ich sogleich zu      
  dem Herrn Minister von Struensee gegangen. Er wiederholt Ihnen      
  sein Versprechen, daß er auf die thätigste und beste Weise für Hrn.      
  Br's Fortkommen sorgen wolle. Die itzige Stelle desselben sei noch      
  nicht ganz reguliert; er werde mehr Emolumente dabei finden, als er      
  itzt selbst glaube. Auch sei es der Eintritt in eine bessere höhere      
  Laufbahn, wo derselbe immer weiter fortrücken werde, nur müsse er      
  etwas Geduld haben. Ueber seine Vorschläge äußerte sich der Minister      
  dahin: daß, wenn solche Veränderungen vorgingen, die Aufrückungen,      
  ob man sie gleich oft in den Provinzen genau berechnen wolle, nicht      
  so bestimmt wären, sondern Er Sich durchaus das Recht vorbehalte,      
  neue Einrichtungen, Versetzungen der Personen, Vertheilungen der      
  Stellen, u.s.w. zu treffen. Die von Hrn. Br. genannten 2 Männer      
  würden nicht in dem geglaubten Maaße aufrücken. Er (der Min.)      
  wolle immer gern Wünsche anhören, nur müsse man nicht übel nehmen,      
  wenn Er sie nicht jedesmal in der vorgelegten Art befriedige.      
  Uebrigens trug er mir recht viel Grüße u. herzliche Empfehlungen an      
  Sie, Theurester Mann, auf.      
           
  Leben Sie herzlich wohl, u. bleiben meiner gütigst eingedenk!      
           
  Biester.      
           
  Ihr Briefchen an HEn Lagarde ist sogleich besorgt worden. Darf      
  ich bitten, die Einlage auf die Westpreussische Post zu senden?      
           
           
           
     

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