Kant: Briefwechsel, Brief 554, Von Maria von Herbert. |
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| Von Maria von Herbert. | |||||||
| [Ianuar 1793.] | |||||||
| Lieber Ehrenwerther Herr. | |||||||
| Daß ich so lange säumte, ihnen von jenen Vergnügen was zu | |||||||
| sagen, welches mir ihr schreiben verursachte, ist, weil ich ihre Zeit für | |||||||
| zu kostbar schäze, daß ich mir nur dan getrau, ihnen eine zu entwenden, | |||||||
| wenn sie nicht einzig vür meine Lust, sondern auch zugleich zur Erleichterung | |||||||
| meines Herzens dienen kann, welche Sie mir schon einst | |||||||
| verschaften, als ich im grösten affect meines Gemüths, bey ihnen Hillfe | |||||||
| suchte, Sie ertheilten mir selbe meinen Gemüth so angemessen, da | |||||||
| ich sowohl durch ihre Güte, als durch ihre Genaue Kentnüs des | |||||||
| Menschlichen Herzens aufgemuntert, mich nicht scheue ihnen den fernern | |||||||
| Ganng meiner Seele zu schildern. Die Lug wegen der ich mich bey | |||||||
| ihnen anklagte, war keine bemäntlung eines Lasters, sondern nur in | |||||||
| rüksicht der dazumahl entstandenen Freindschaft (noch in liebe verhült,) | |||||||
| ein vergehn, der Zurükhalltung, daß ich's aber meinen Freind so spat, | |||||||
| und doch entekte, war der Kampf der vorhersehenden meiner Leidenschaft | |||||||
| kränkenden Folgen, mit dem Bewustseyn der an Freindschaft | |||||||
| Aufrichtigkeit uhrsach endlich gewahn ich so viel Kraft, und | |||||||
| den Stein meines Herzens durch die Enttekung, mit der | |||||||
| seiner Liebe, dan ich genoß im besiz dießes von mir selbst | |||||||
| vergönten Vergnügen so wenig Ruh, als nachdem, von der verwundeten | |||||||
| welche mein Herz zerrißen, und mich so marterte, | |||||||
| wie ich's keinen Menschen wünsch, der auch seine boßheit mit einen | |||||||
| behaupten wolte. Indeßen verharte mein Freind in seinen | |||||||
| so wie Sie es in ihren Brief mir Wahrßagten, doch erßezte | |||||||
| er mir's in der Folge, tobelt, durch die inigste Freindschaft, welche | |||||||
| seiner seits glüklich mich aber doch nicht zufrieden macht, weil's | |||||||
| vergnügt, und nicht Nuzt, welches mir, meine hellen Augen jezt | |||||||
| imer vorwerfen und mich dabei eine leere fühlen machen, die sich in | |||||||
| außer mir erstrekt so daß ich mir fast selbst überflüßig bin. vor | |||||||
| hat nichts einen Reiz, auch könnte mich die Erreichung aller | |||||||
| mich betrefenden Wünsche, nicht Vergnügen, noch erscheint | |||||||
| mir eine einzige Sache der Mühe werth daß sie getahn werde, und | |||||||
| alles nicht aus Mißvergnügen, sondern aus der Abwegung wie | |||||||
| bey was guten unlauteres mitlauft, überhaubt möchte ich da | |||||||
| Handln vermehren, und daß unzwekmäßige vermindern | |||||||
| könen, welches Leztere die Welt allein zu Beschäftigen scheint, den | |||||||
| mir ist als wenn ich den Trieb zur Reeln Thättigkeit nur um im zuerstiken, | |||||||
| in mir fühlte, wen ich auch von keinen Verhältnüs gehindert, | |||||||
| den ganzen Tag nichts zu Handln hab, so Qäult mich eine Langeweile | |||||||
| mir daß Leben unerträglich macht, obwohlen ich doch taußend | |||||||
| so leben wolt, wenn ich denken könnt, das ich, Gott, in solcher | |||||||
| auch gefählig bin. Rechnen sie mir's nicht als Hochmuth | |||||||
| wen ich ihnen sage, daß mir die Aufgaben der Morallität, zu gering | |||||||
| denn, ich wolt mit grösten Eifer noch einmahl so Viel erfühlen, | |||||||
| sie ihr Ansehen so nur durch eine gereizte Sinnlichkeit erhaltet, | |||||||
| der es mich fast keine überwündung kostet solcher, Abbruch zu | |||||||
| daher es mir auch scheint, daß wem das Pflichtgeboth einmahl | |||||||
| klar geworden dem steth es gar nicht mehr frei, selbes zu übertreten, | |||||||
| ich müste selbst mein Sinnliches gefühl beleidigen, wenn | |||||||
| Pflichtwidrig handln müste, es komt mir so instincktartig vor, da | |||||||
| gewiß nicht das geringste Verdienst hab Morallisch zu seyn. | |||||||
| eben so wenig, glaub ich, kann man jene Menschen der zurechnung fähig | |||||||
| welche in ihren ganzen leben, nicht zum wahren selbstbewustseyn | |||||||
| komen, stez durch ihre Sinnlichkeit überrascht könen sie sich auch nie | |||||||
| geben warum sie etwas tuhn oder laßen, und wär Moralität | |||||||
| die Natur nicht am zuträglichsten, so würden ihr dieße | |||||||
| wohl noch mehr kontrachhirn. | |||||||
| mein Trost denk ich mir oft, weil die ausübung der Moralität | |||||||
| fest auf die Sinnlichkeit gebunden ist, sie darum nur vor dieße | |||||||
| Welt taugen kann, und somit hätte ich doch Hoffnung, nach diesen | |||||||
| leben nicht noch einmahl, ein so leeres Vegetirendes mit so wenig und | |||||||
| aufgaben der M. zu führen, Erfahrung will mir zwar dieße | |||||||
| Laune gegen mein Hierseyn, damit zurechtweißen, daß es fast | |||||||
| zu fruh ist, seine Laufbahn zu schließen und alle so gern | |||||||
| leben, um also nicht in der Regl ein so seltne außnahm zu machen, | |||||||
| will ich eine entfernete uhrsach dießer meiner Abweichung angeben, | |||||||
| meine stez unterbrochne Geßundheit, schon seit der Zeit da ich | |||||||
| daß erstemahl geschrieben, Genoß ich sie nie mehr, die doch | |||||||
| einen Sinnen Rausch gestattet welches Vernunft nicht | |||||||
| Verschaffen kann, und ich also entbehre. was ich sonst noch genüßen | |||||||
| könnt intreßirt mich wieder nicht, den alle Wießenschaften der | |||||||
| und Köntnüsen der Welt, studir ich nicht, weil ich kein Genie | |||||||
| in mir fühl, sie zu erweitern, und Vor mich allein hab ich kein bedürfnüs | |||||||
| zu wiesen, was nicht den Kategorischen Imperativ und | |||||||
| mein transscendentalles bewustseyn betrift, ist mir alles gleichgültig. | |||||||
| ich mit diese Gedanken auch schon längst firtig bin. Als | |||||||
| zusamgenohmen, könnt ihnen Vieleicht den Wunsch in mir wohl | |||||||
| machen, der einzige den ich habe, nemlich mir dieses so | |||||||
| leben, in welchen ich fest überzeigt bin, weder beßer, noch | |||||||
| zu werden, zu Verkürzen, wenn sie erwegen, daß ich noch jung | |||||||
| bin, und kein tag ein anders Intreße vor mich hat, als das er mich | |||||||
| meinen Ende näher bringt, so werden Sie auch abmessen können, welch | |||||||
| ein Wohlthäter, Sie mir werden könnten, und wie sehr Sie dadurch | |||||||
| werden, diese Frage genau zu untersuchen, daß ich sie | |||||||
| an Sie machen darf, ist, weil mein Begrif von Morilität hier | |||||||
| wo er doch sonst überall den entschiedensten Ausspruch macht. | |||||||
| können Sie aber dießes von mir gesuchte Negative Gut, nicht geben, | |||||||
| fodere ich ihr Gefühl des Wohlwollens auf, mir etwas an die Hand | |||||||
| geben, womit ich diese unerträgliche leere aus meiner Seele schaffen | |||||||
| könnt, wenn ich dan, ein tauglichers Glied der Natur werde, und | |||||||
| meine Geßundheits umstände mir's Vergönen, so bin ich willens in | |||||||
| Iahren eine Reise nach Königsberg zu machen, wozu ich jedoch | |||||||
| im voraus um die Erlaubnus bey ihnen vorzukomen ansuchen will, da | |||||||
| sie mir ihre Geschiechte sagen, dan ich möchte wießen, zu welcher | |||||||
| ihre philosophie Sie führte, und ob es ihnen auch nicht | |||||||
| Muhe werth war, sich ein Weib zu nehmen oder sich irgend wem | |||||||
| ganzen Herzen zu widmen, noch ihr Ebenbild fortzupflanzen, ich | |||||||
| ihr Porträt von Leibpzig bey Bause in stich bekomen, in welchen | |||||||
| wohl einen Moralischen Ruhigen Tiefen aber keinen Scharf Sinn | |||||||
| enteke, den mir die Kritik der reinen Vernunft doch Vor allen anderm | |||||||
| auch bin ich nicht zufrieden daß ich sie nicht in's mitte Geßicht | |||||||
| kann - errathen Sie meinen einzigen Sinnlichen Wunsch, | |||||||
| erfüllen sie im, wenn es ihnen nicht zu unbequem ist, werden Sie | |||||||
| nicht unwillig wenn ich erst mit der sehnlichsten bitte um eine | |||||||
| heran ruke, die ihnen auf mein Kauderwelsch nur zu beschwerlich | |||||||
| wird, doch scheints mir nothwendig sie zu erinern, das, | |||||||
| wenn Sie mir aber doch den großen gefahlen erweißen, und sich mit | |||||||
| einer Antwort bemühen wollen, sie so einzurichten, das sie nur das | |||||||
| einzlne, nicht daß algemeine betrift, welches ich schon in ihren Werken | |||||||
| der Seite meines Freinds glüklich Verstanden und mit ihm gefühlt | |||||||
| welcher ihnen gewis gefahlen würde dan sein Karackter ist grad | |||||||
| Herz gut und seyn Verstand tief, daneben glüklich genug in dieße | |||||||
| Welt zu passen, auch ist er selbstständig und stark genug alles zu meiden, | |||||||
| trau ich mich auch, mich ihn zu rauben, haben sie auf ihre gesundheit | |||||||
| dan sie können der Welt noch Vieles nuzen, das ich Gott | |||||||
| wäre, und sie davür belonen könnt, was Sie an uns gethan, ich bin | |||||||
| mit tiefster Hochachtung, auch Wahrheit, Ehrende | |||||||
| Maria Herbert. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 400 ] [ Brief 553 ] [ Brief 555 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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