Kant: Briefwechsel, Brief 510, An Fräulein Maria von Herbert. (Entwurf.) |
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An Fräulein Maria von Herbert. | |||||||
(Entwurf.) | |||||||
[Frühjahr 1792.] | |||||||
Ihr affectvoller Brief aus einen Herzen entsprungen das für | |||||||
Tugend und Rechtschaffenheit gemacht seyn muß weil es für eine Lehre | |||||||
derselben so empfänglich ist die nichts Einschmeichlendes bey sich führt | |||||||
reißt mich dahin fort wo sie mich hin verlangen namlich mich in ihre | |||||||
Lage zu versetzen und so über das Mittel einer reinen moralischen | |||||||
und dadurch allein gründlichen Beruhigung für sie nachzudenken. Ihr | |||||||
Verhaltnis zu dem geliebten Gegenstande dessen Denkungsart eben so | |||||||
wohl ächt und achtungsvoll für Tugend und den Geist derselben, die | |||||||
Redlichkeit, seyn muß ist mir zwar unbekannt ob es nämlich ein eheliches | |||||||
oder blos freundschaftliches Verhältnis seyn mag Ich habe das | |||||||
letztere aus ihrem Brife als warscheinlich angenommen; allein das | |||||||
macht in Ansehung dessen was Sie beunruhigt keinen erheblichen | |||||||
Unterschied; denn die Liebe es sey gegen einen Ehemann oder gegen | |||||||
einen Freund setzen gleiche gegenseitige Achtung für ihrer beyden | |||||||
Character voraus ohne welche sie nur eine sehr wandelbare sinnliche | |||||||
Täuschung ist. | |||||||
Einer solchen Liebe die allein Tugend (die andere aber blos blinde | |||||||
Neigung) ist will sich gänzlich mittheilen und erwartet von Seiten des | |||||||
anderen eine eben solche Herzensmittheilung die durch keine mistrauische | |||||||
Zurückhaltung geschwächt ist. So sollte es seyn und das fordert das | |||||||
Ideal der Freundschaft: Aber es hängt dem Menschen eine Unlauterkeit | |||||||
an welche jene Offenherzigkeit, hier mehr dort weniger, einschränkt. | |||||||
Uber dieses Hindernis der wechselseitigen Herzensergießung über das | |||||||
geheime Mistrauen und die Zurükhaltung welche machen daß man | |||||||
selbst in seinem innigsten Umgange mit seinem Vertrauten doch einem | |||||||
Theile seiner Gedanken nach immer noch allein und in sich verschlossen | |||||||
bleiben muß haben die Alten schon die Klage hören lassen: meine | |||||||
lieben Freunde, es giebt keinen Freund! Und doch wird Freundschaft | |||||||
aber als das Süßeste was das Menschliche Leben nur immer enthalten | |||||||
mag und von wohlgearteten Seelen mit Sehnsucht gewünscht. Kan | |||||||
nur in der Offenherzigkeit statt finden | |||||||
Von jener Zurückhaltung, aber als dem Mangel dieser Offenherzigkeit | |||||||
die man wie es scheint in ihrem ganzen Maaße der menschlichen | |||||||
Natur nicht zumuthen darf (weil jedermann besorgt wenn er sich | |||||||
vollig entdeckte von dem Andern gering geschätzt zu werden) ist doch | |||||||
der Mangel der Aufrichtigkeit als eine Unwarhaftigkeit in wirklicher | |||||||
Mittheilung unserer Gedanken noch gar sehr unterschieden. Iene gehört | |||||||
zu den Schranken unserer Natur und verdirbt eigentlich noch nicht | |||||||
den Character sondern ist nur ein Übel welches hindert alles Gute was | |||||||
aus demselben möglich wäre daraus zu ziehen. Diese aber ist eine Corruption | |||||||
der Denkungsart und ein positives Böse. Was der Aufrichtige | |||||||
aber Zurükhaltende (nicht Offenherzige) sagt ist zwar alles wahr | |||||||
nur er sagt nicht die ganze Warheit. Dagegen der Unaufrichtige | |||||||
etwas sagt [das] dessen er sich als falsch bewust ist. Die Aussage von | |||||||
der letzteren Art heißt in der Tugendlehre Lüge. Diese mag auch | |||||||
ganz unschädlich sey[n] so ist sie darum doch nicht unschuldig; vielmehr | |||||||
ist sie eine schweere Verletzung der Pflicht gegen sich selbst und zwar | |||||||
einer solchen die ganz unerlaslich ist weil ihre Ubertretung die Würde | |||||||
der Menschheit in unserer eigenen Person herabsetzt und die Denkungsart | |||||||
in ihrer Wurzel angreift denn Betrug macht alles zweifelhaft und | |||||||
verdächtig und benimmt selbst der Tugend alles Vertrauen wenn man | |||||||
sie nach ihren Äußeren beurtheilen soll. | |||||||
Sie sehen wohl daß wenn Sie einen Arzt zu Rathe gezogen | |||||||
haben, Sie auf einen solchen trafen der wie man sieht kein schmeichler | |||||||
ist der nicht durch Schmeicheleyen hinhält und wollten Sie einen Vermittler | |||||||
zwischen Sich und Ihrem Herzensfreunde meine Art das gute | |||||||
Vernehmen herzustellen der Vorliebe fürs schöne Geschlecht gar nicht | |||||||
gemäs sey indem ich für den Letzteren spreche und ihm Gründe an | |||||||
die Hand gebe welche er als Verehrer der Tugend auf seiner Seite | |||||||
hat und die ihn darüber rechtfertigen daß er in seiner Zuneigung | |||||||
gegen Sie von Seiten der Achtung wankend geworden. | |||||||
Was die erstere Erwartung betrift so muß ich zuerst anrathen | |||||||
sich zu prüfen ob die bittere Verweise welche Sie sich wegen einer, | |||||||
übrigens zu keiner Bemäntelung irgend eines begangenen Lasters ersonnenen | |||||||
Lüge machen Vorwürfe einer bloßen Unklugheit oder eine | |||||||
innere Anklage wegen der Unsittlichkeit die in der Lüge an sich selbst | |||||||
steckt seyn mögen. Ist das erstere so verweisen sie sich nur die Offenherzigkeit | |||||||
der Entdeckung derselben also reuet es Sie diesmal ihre | |||||||
Pflicht gethan zu haben; (denn das ist es ohne Zweifel wenn man | |||||||
jemanden vorsetzlich obgleich in einen ihm unschadlichen Irrthum gesetzt | |||||||
und eine Zeitlang erhalten hat ihn wiederum daraus ziehen); | |||||||
und warum reuet Sie diese Eröfnung? Weil Ihnen dadurch der freylich | |||||||
wichtige Nachtheil entsprungen das Vertrauen ihres Freundes einzubüssen. | |||||||
Diese Reue enthält nun nichts Moralisches in ihrer Bewegursache | |||||||
weil nicht das Bewustseyn der That sondern ihrer Folgen | |||||||
die Ursache derselben ist. Ist der Verweis, der Sie kränkt aber ein | |||||||
solcher der sich wirklich auf bloßer sittlicher Beurtheilung Ihres Verhaltens | |||||||
gründet so wäre das ein schlechter moralischer Arzt der ihnen | |||||||
riethe weil das Geschehene doch nicht ungeschehen gemacht werden kan | |||||||
diesen Verweis aus ihrem Gemüthe zu vertilgen und sich blos fortmehr | |||||||
einer pünctlichen Aufrichtigkeit von ganzer Seele zu befleißigen | |||||||
denn das Gewissen muß durchaus alle Ubertretungen aufbehalten wie | |||||||
ein Richter der die Acten wegen schon abgeurtheilter Vergehungen | |||||||
nicht cassirt sondern im Archiv aufbehält um bey sich eräugnender | |||||||
neuen Anklage wegen ähnlicher oder auch anderer Vergehungen das | |||||||
Urtheil der Gerechtigkeit gemäs allenfalls zu schärfen. Aber über jener | |||||||
Reue zu brüten und nachdem man schon eine andere Denkungsart eingeschlagen | |||||||
ist sich durch die fortdaurende Vorwürfe wegen vormaliger | |||||||
nicht mehr herzustellender für das Leben unnütze zu machen würde | |||||||
(vorausgesetzt daß man seiner Besserung versichert ist) eine phantastische | |||||||
Meynung von verdienstlicher Selbstpeinigung seyn die so wie manche | |||||||
vorgebliche Religionsmittel die in der Gunstbewerbung bey höheren | |||||||
Mächten bestehen soll, ohne daß man eben nöthig habe ein besserer | |||||||
Mensch zu seyn, zur moralischen Zurechnung gar nicht gezählt werden | |||||||
müssen. | |||||||
Wenn nun eine solche Umwandlung der Denkungsart Ihrem geliebten | |||||||
Freunde offenbar geworden - wie denn Aufrichtigkeit ihre | |||||||
unverkennbare Sprache hat - so wird nur Zeit dazu erfordert um | |||||||
die Spuhren jenes rechtmäßigen selbst auf Tugendbegriffe gegründeten | |||||||
Unwillens desselben nach und nach auszulöschen und den Kaltsinn in | |||||||
eine noch fester gegründete Neigung zu verändern. Gelingt aber das | |||||||
letztere nicht so war die [die] vorige Wärme der Zuneigung desselben auch | |||||||
mehr physisch als moralisch und würde nach der flüchtigen Natur derselben | |||||||
auch ohne das mit der Zeit von selbst geschwunden seyn; ein | |||||||
Unglück dergleichen uns im Leben mancherley aufstoßt und wobey man | |||||||
sich mit Gelassenheit finden muß da überhaupt der Werth des letzteren | |||||||
so fern es in Dem besteht was wir Gutes genießen können von Menschen | |||||||
überhaupt viel zu hoch angeschlagen wird sofern es aber nach dem geschätzt | |||||||
wird was wir Gutes thun können der höchsten Achtung und Sorgfalt | |||||||
es zu erhalten und fröhlich zu guten Zwecken zu gebrauchen würdig | |||||||
ist. - Hier finden sie nun meine liebe Fr[eundin] wie es in Predigten gehalten | |||||||
zu werden pflegt Lehre Strafe und Trost bey deren ersterer ich | |||||||
etwas länger als bey letzterem ich sie zu verweilen bitte weil wenn iene | |||||||
ihre Wirkung gethan haben der letztere und verlohrne Zufriedenheit | |||||||
des Lebens sich sicherlich von selber finden wird | |||||||
[ abgedruckt in : AA XI, Seite 331 ] [ Brief 509a ] [ Brief 511 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |