Kant: Briefwechsel, Brief 508, Von Iohann Erich Biester. |
|||||||
|
|
|
|
||||
| Von Iohann Erich Biester. | |||||||
| 6. März 1792. | |||||||
| Verehrungswehrter Mann | |||||||
| Sie thun in der That den gewöhnlichen politischen Einrichtungen | |||||||
| zu viel Ehre an, wenn Sie nach einer Maxime dabei fragen, und gar | |||||||
| Konsequenz bei Befolgung derselben verlangen. Man findet sich oft | |||||||
| veranlaßt - vielleicht auch genöthigt, irgend eine Verfügung zu geben; | |||||||
| an den ganzen Zusammenhang aber hat man dabei nicht gedacht. | |||||||
| Und wohl oft der Menschheit, daß eine so wohlthätige Inkonsequenz | |||||||
| bei den Regenten Statt findet! Sie ist ein sicherer Beweis, daß man | |||||||
| nicht im Ganzen, u. planvoll, das Böse will; sondern sich nur bei | |||||||
| einzelnen Dingen irrt. | |||||||
| Um indeß unserer Frage näher zu kommen, so ließe sich doch | |||||||
| wohl eine Maxime herausfinden, welche in der höchsteigenen Entscheidung | |||||||
| bei der Villaume'schen Sache zum Grunde lag, u. deutlich darin | |||||||
| ausgedrückt war. Man hat nehmlich die Idee: Bewilligung der Censur | |||||||
| sei Billigung aller in einer Schrift vorgetragenen Grundsätze; | |||||||
| nun aber könnten doch keine Grundsätze gebilligt werden, deren Gegentheil | |||||||
| man vorher gebilligt, oder gar selbst bekannt gemacht habe. | |||||||
| Darum sei nur der Druck hier unter den Augen nicht zu leiden; | |||||||
| auswärts gedruckt u. hereingebracht könnte ein solches Buch aber | |||||||
| werden, wie alle andern (nicht offenbar gotteslästerlichen oder schändlichen) | |||||||
| Bücher ja von Leipzig kommen, u. keiner Durchsicht u. Erlaubniß | |||||||
| zum Verkauf erst bedürfen. | |||||||
| Was nun mich insbesondere betrift, so ist meine strenge Regel: | |||||||
| mich genau in den Schranken des Gesetzes zu halten. Auswärts | |||||||
| drucken zu lassen, ist nie hier verboten gewesen. Dennoch aber würde | |||||||
| ich es für unrecht halten, ein Blatt, welches die hiesige Kgl. Censur | |||||||
| gestrichen hätte, gleichsam zum Trotz derselben, auswärts drucken zu | |||||||
| lassen (obgleich auch dies nicht verboten ist). Dies aber würde ich | |||||||
| für eine unanständige u. meiner unwürdige Neckerei halten, - oder | |||||||
| es müßte ein ganz sonderbarer Umstand mich dazu nöthigen. Dies | |||||||
| ist aber gar nicht mein Fall; ich habe nie mit der hiesigen Censur | |||||||
| .Händel gehabt; sondern bloß: ich habe bis 1791 die Berl. Monatsschr. | |||||||
| in Berlin bei Spener drucken lassen, u. lasse sie seit 1792 bei Mauke | |||||||
| in Iena drucken. Oder vielmehr, mein Verleger thut dies. Aus | |||||||
| welchen Gründen wir das thun? ist eine andere Frage; welche wahrscheinlich | |||||||
| Niemand, bei einer unverbotenen Handlung, aufzuwerfen das | |||||||
| Recht hat. | |||||||
| So ist die Sache, Theurester Mann; und ich glaube nicht, da | |||||||
| Sie einigen Grund haben, mit dieser Einrichtung unzufrieden zu sein, | |||||||
| oder sie gar für gesetzwidrig u. unrechtmäßig zu erklären. | |||||||
| Um indeß jeder Forderung eines Mannes wie Sie, zu genügen; | |||||||
| habe ich Ihren vortreflichen Aufsatz - welcher nicht in den März | |||||||
| kommen konnte, aber den April zieren wird - sogleich nach Empfang | |||||||
| Ihres letzten Briefes bei der hiesigen Censur eingereicht. Weil er | |||||||
| moralischen Inhalts ist, so fällt er dem HE Geh. u. Ob. Consist. Rath | |||||||
| Hillmer anheim. Dieser schickte ihn mir auch, Tages darauf, mit | |||||||
| seinem Imprimatur zu; u. schrieb mir dabei folgenden weisen Bescheid: | |||||||
| er habe den Druck vergönnt, "weil er, nach sorgfältiger Durchlesung, | |||||||
| diese Schrift, wie die übrigen Kantischen, nur nachdenkenden, | |||||||
| "Untersuchungs= und Unterscheidungsfähigen Gelehrten, nicht aber allen | |||||||
| "Lesern überhaupt, bestimmt u. genießbar finde." | |||||||
| Ich würde mich schämen, gegen einen Mann wie Sie, die geringste | |||||||
| Unredlichkeit zu begehen. Ob Sie also gleich Selbst glaubten, Ihr | |||||||
| Aufsatz sei schon nach Iena geschickt, u. ich Sie bei diesem Glauben | |||||||
| lassen konnte; so habe ich dennoch, da er durch einen Zufall noch hier | |||||||
| lag, Ihrem Begehren genüget; am 3ten ist er nun nach Iena abgegangen. | |||||||
| - Hier haben Sie den ganzen Verlauf der Sache. Sehr angesehene | |||||||
| u. gelehrte Männer haben mir seitdem, wie vorher, Beiträge | |||||||
| mitgetheilt. Ich hoffe, Sie werden hierin nicht anders denken. Auch | |||||||
| erwarte ich Ihre bestimmte Entscheidung: ob ich noch künftig Ihre | |||||||
| Aufsätze für die Berl. Mon.schrift hier zur Censur einreichen soll? | |||||||
| Daß ich, was Sie auch entscheiden, genau Ihren Willen erfüllen | |||||||
| werde, versteht sich von selbst. | |||||||
| Die Vorsehung erhalte Sie noch lange den Wissenschaften, der | |||||||
| Aufklärung, und der edlen bessern moralischen Denkart! | |||||||
| Biester. | |||||||
| d. 6 März [1792.] | |||||||
| Ihr Brief an HE Selle ist sogleich abgegeben. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 328 ] [ Brief 507a ] [ Brief 508a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
|||||||