Kant: Briefwechsel, Brief 499, Von Iacob Sigismund Beck.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iacob Sigismund Beck.      
           
  Halle den 11ten November 1791.      
           
  Theuerster Herr Professor!      
  Bald nachdem ich den Brief vom 2ten October an Sie geschrieben      
  hatte, und noch täglich an der Prüfung der Theorie des Vorstellungsvermögens      
  etwas arbeitete, wurde der Gedanke mir immer auffallender,      
  daß ich doch im Grunde für kein Publicum schriebe. Da ich nun      
  gestern Ihren mir sehr lieben Brief vom 2ten November erhielt, so      
  beschloß ich gleich, diese Arbeit ganz bey Seite zu legen. Aber, obgleich      
  dem so ist, so liegt mir doch daran, Sie zu versichern, daß ich      
  weit entfernt gewesen, etwas in meine Schrift zu setzen, was Herrn      
  Reinholdt auf den Gedanken bringen könnte, daß Sie was darum      
  wüßten. Auch hätte ich mir nichts Hartes gegen diesen Mann erlaubt,      
  der des Wahrheit=Gefühls wegen, das er in seiner Schrift äussert, mir      
  immer sehr schätzbar ist. Ganz unnütze für mich ist auch meine Beschäftigung      
  mit seiner Theorie nicht gewesen, indem ich Vieles mehr      
  nachgedacht und mir auch geläufiger gemacht habe.      
           
  Ich wende mich nun zu der mir weit interessanteren Arbeit, einen      
  Auszug aus Ihren kritischen Schriften zu verfertigen, und schiebe die,      
  dem Herrn Hartknoch angebotene Schrift über Hume noch etwas aus.      
  Mit dem mir möglichen Fleiß will ich arbeiten und werde, beßter      
  Herr Professor, da Sie es mir ja erlauben, Ihnen das schreiben, was      
  ich noch nicht tief genug bis zur eigenen Beruhigung einsehe. Wenn      
  Sie nun so gütig seyn wollen, deswegen an Herrn Hartknoch zu schreiben,      
  so wird mir das sehr angenehm seyn. Er wird aber auch so gut seyn      
  müssen mir aus seinem Lager in Leipzig einige Sachen, besonders      
  Iournäle, die ich mir ausbitten werde, zu schicken.      
           
  Und nun, erlauben Sie mir, zu fragen, ob ich in Folgendem      
           
  Ihren Sinn treffe. Nur muß ich Sie vorher bitten doch nicht verdrüßlich      
  zu werden, wenn bey der Versicherung die Kritik beherzigt zu      
  haben, ich doch vieleicht zu fehlerhaft schreibe.      
           
  Die Kritick nennt die Anschauung, eine Vorstellung die sich unmittelbar      
  auf ein Object bezieht. Eigentlich aber wird doch eine Vorstellung,      
  allererst durch Subsumtion unter die Kategorien objectiv.      
  Und da auch die Anschauung, diesen, gleichsam objectiven Character,      
  auch nur durch Anwendung der Kategorien auf dieselbe erhält, so      
  wollte ich gern jene Bestimmung der Anschauung, wonach sie eine auf      
  Objecte sich beziehende Vorstellung ist, weglassen. Ich finde doch in      
  der Anschauung nichts mehr, als ein vom Bewußtseyn (oder dem      
  einerley Ich denke) begleitetes und zwar bestimmtes Mannigfaltige,      
  wobey noch keine Beziehung auf ein Object statt findet. Auch den      
  Begrif will ich nicht gern eine Vorstellung die sich mittelbar auf ein      
  Object bezieht, nennen; sondern unterscheide ihn darin von der Anschauung,      
  daß diese durchgängig bestimmt, und jener nicht durchgängig      
  bestimmt ist. Denn Anschauung und Begrif erhalten ja, erst durch      
  das Geschäfte der Urtheilskraft die sie dem reinen Verstandesbegrif      
  subsumirt, das Objective. *)      
           
  Unter dem Worte verbinden in der Kritick, verstehe ich nichts mehr,      
  noch minder, als das Mannigfaltige von dem identischen Ich denke,      
  begleiten, wodurch überhaupt eine Vorstellung entsteht. Nun meyne ich      
  daß die ursprüngliche Apperception eben um dieser einen Vorstellung      
  willen, die dadurch nur zu Stande kommen kann, von der Kritick die      
  Einheit der Apperception genannt wird. Aber habe ich auch darin recht      
  daß ich beyde verwechsele, oder vielmehr, darin lediglich den Unterschied      
  finde, daß das reine Ich denke, obgleich es nur an der Synthesis      
  des Mannigfaltigen erhalten wird, doch überhaupt (da es selbst nichts      
  Mannigfaltiges in sich schließt) als etwas Unabhängiges von demselben      
  gedacht wird; hingegen die Einheit des Bewußtseyns in der Identität      
           
  desselben bey den Theilen des Mannigfaltigen zu setzen sey? Diese      
  Einheit erhält nun in meinen Augen den Character der objectiven      
  Einheit, wenn die Vorstellung selbst unter die Kategorie subsumirt      
  wird. Herr Reinholdt spricht von einer Verbindung und einer Einheit      
  im Begrif, einer zweyten Verbindung und einer zweyten Einheit      
  (von der zweyten Potenz, wie er sich ausdruckt) im Urtheil. Auch hat      
  er noch eine dritte im Schluß. Davon verstehe ich zwar nicht ein      
  Wort, indem ich unter verbinden nichts mehr als das Mannigfaltige      
  vom Bewußtseyn begleiten, verstehe, aber doch macht es mich mißtrauisch      
  gegen mich selbst.      
           
  Mein Theuerster Lehrer, Ihnen Zeit rauben ist nicht meine Sache.      
  Aber, indem ich für dieses mahl nichts Weiteres Ihnen vorlegen will,      
  muß ich Sie inständigst bitten, mit wenigen Worten mich über das      
  Vorgelegte, zu beruhigen. Denn wenn ich irre, so würden doch wohl      
  nur einige Winke hinlänglich mich auf die rechte Bahn führen. Es      
  verhält sich mit diesem Studium darin ganz anders wie mit dem der      
  Mathematik. Sätze der letztern, einmahl deutlich eingesehen, können      
  wohl an Deutlichkeit nichts mehr gewinnen. Dies letztere findet doch      
  in der Philosophie statt. Klügel, dessen Scharfsinn ich oft zu bemerken      
  Gelegenheit habe, versichert mich, daß obgleich gar einmahl er ein      
  Collegium über die Metaphysick der Natur gelesen, er lange nachher      
  erst ein einigermaßen widriges Vorurtheil sowohl gegen jene Metaphysick,      
  als auch wohl gegen die Kritik bis auf den Punct daß er sie      
  schätze, indem er sie immer mehr verstehe abgelegt habe. Ich erinnere      
  mich noch gar wohl, wie er, um die Zeit da ich hier angekommen      
  war, über die Bestimmung, wonach die Mathematik eine Wissenschaft      
  durch Construction der Begriffe sey, urtheilte. Ich konnte lange nicht      
  errathen was er damit haben wollte, daß sie eine Wissenschaft der      
  Formen der Grössen sey, und erfuhr erst da ich disputirte, da      
  seine Erklärung genau mit der Ihrigen congruire. Die Kritick der      
  Urtheilskraft befriedigt mich ganz. Nur müssen Sie nicht zürnen da      
  ich jetzt erst mit dem ästhetischen Theil fertig bin. Ich bin mit der      
  reinsten Hochachtung      
           
    der Ihrige      
    Beck.      
           
           
           
           
    Anmerkung Kant's: * Die Bestimmung eines Begrifs durch die Anschauung zu einer Erkentnis des Objects gehört für die Urtheilskraft aber nicht die Beziehung der Anschauung auf ein Object überhaupt; denn das ist blos der logische Gebrauch der Vorstellung dadurch diese als zum Erkentnis gehörig gedacht wird dahingegen wenn diese einzelne Vorstellung blos aufs Subject bezogen wird der Gebrauch ästhetisch ist (Gefühl) und die Vorstellung kein Erkentnißstück werden kan.      
           
     

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