Kant: Briefwechsel, Brief 425, Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.      
           
  Berlin den . . . Mai 1790.      
           
  Da ich vermuthe, daß Herr Nicolowius bald von Leipzig hier      
  eintreffen und gütigst einen Brief von mir an Sie besorgen wird, so      
  will ich nur immer, weil ich jetzt einige Zeit übrig habe, denselben zu      
  schreiben anfangen. Zuerst muß ich Ihnen meinen besten Dank für      
  das Exemplar Ihrer Critik d. U[rtheilskraft], das ich auf Ihren Befehl      
  aus HE. la Gardes Händen erhielt, abstatten; es ist mir dis ein      
  neuer angenehmer Beweis, daß Sie mich Ihrer Liebe nicht ganz unwerth      
  halten. HE. la Garde ist mit dem Absatz der Schrift sehr zufrieden,      
  und hoft künftige Ostern eine neue Auflage zu veranstalten.      
  Auch füge ich ein Exemplar meiner kleinen Schrift über das Moralprinzip      
  bei, mit der Bitte, daß Sie die Freundschaft haben möchten      
  es gelegentlich durchzulesen; vielleicht dürfte ich dann hoffen, daß Sie      
           
  mir bei meinem Aufenthalt in Königsberg einige Winke und Bemerkungen      
  für den zweiten Theil geben. - Ihre Schrift gegen Eberhard      
  hat mir unendlich viel Vergnügen gemacht; ich habe nicht eher geruhet      
  bis ich sie ganz durchgelesen hatte und ich habe mich sehr darüber      
  gefreut, daß Sie HE. Eberhard so treflich festzustehen gezwungen      
  haben, da er in seinem Magazin so gewaltig viel Wendungen und      
  Sprünge macht.      
           
  Vielleicht hat Ihnen das Gerücht schon gesagt, daß der Minister      
  von Schulenburg in dessen Hause ich wohne, nicht wie die Zeitungen      
  aussagen, am Schlagfluß gestorben ist, sondern sich selbst erschossen      
  hat. - Der Staat hat an ihm einen Mann von vielen und treflichen      
  Kenntnissen, von ungemeiner Arbeitsamkeit, und ich einen großen Beschützer,      
  und was mich noch weit mehr schmerzt, einen Freund verlohren.      
  - Ich bin überzeugt, daß es Ihnen nicht unlieb sein wird,      
  von diesem Vorfall, der gewiß aller Aufmerksamkeit auf sich gezogen      
  hat, näher unterrichtet zu sein, und ich will Ihnen daher einige Umstände      
  ausführlich erzählen. - Der verstorbene Minister trat vor ungefähr      
  3 1/2 Iahr an die Stelle seines Verwandten, des Ministers von      
  SchulenburgKönern, den man dahin gebracht hatte, daß er um seinen      
  Abschied anhalten mußte. Vorher war er Landrath gewesen, und hatte      
  sich unter andern durch die trefliche Einrichtung der Feuersocietät für      
  das Land berühmt gemacht. Als Minister entwarf er den Plan zur      
  MobilmachungsCommission und ward Chef derselben. Zwei Iahr      
  existirte dis Collegium schon und zwei Iahr hatte man auch schon an      
  einen Plan gearbeitet, welche Einrichtungen man zu treffen habe, im      
  Fall die Armee marschiren sollte, aber dieser Plan war wegen der      
  großen Verschiedenheit der Meinungen der Mitglieder nicht zu Stande      
  gekommen. Plötzlich ward die Vermuthung des Ausrückens der Regimenter      
  Gewisheit, und nun ging die Noth des Ministers an. Die      
  Cassen waren erschöpft, die Schatzkammer zum Theil leer, Wiederspruch      
  fand sich an allen Orten, es herrschte Mangel an Getreide und Fourage      
  und dis brachte den Minister zu den gewaltsamen Entschluß. Sie      
  werden sich über die angeführten Ursachen wundern und vielleicht ihre      
  Richtigkeit in Zweifel ziehen, aber sie sind demungeachtet ganz wahr.      
  Der sogenannte eiserne Bestand der Cassen existirte schon längst nicht      
  mehr. Unter den Pappieren des Ministers fand sich unter andern      
  ein Zettel: An eisernen Bestand - Die Schatzkammer zum      
           
  theil leer. - Im Iahr 1787 waren noch 27 Millionen Courant      
  im Schatz und jetzt ist auch nicht ein Heller davon mehr da, und man      
  hat in den GeneralMünzdirector von Seiten des Ministeriums gedrungen,      
  Courant zu schaffen, der sich nun in großer Verlegenheit      
  findet. Man sagt sich hier ins Ohr, die sogenannte Extraordinäre      
  Kasse auf die, wer weiß was für Anweisungen gegeben worden sind,      
  sei nichts anders als der Schatz gewesen. - Und überhaupt mag es      
  wohl ein politischer Kunstgrif des verstorbenen Königs gewesen sein,      
  von dem Schatz eine sehr große Meinung zu verbreiten, da Preußen      
  nur durch einen Schatz seine politische Existenz erhalten kann.      
  Widerspruch fand er an allen Orten. - Unter andern forderte der      
  König von ihm, daß er berechnen sollte, wie lange Preußen einen      
  Krieg aushalten könnte. Er schrieb, daß man ein Resultat von ihm      
  verlangte, wozu man ihm keine Data gegeben hätte, er könne dis nicht      
  eher, als bis man ihn in den Stand setzte, die Einkünfte aus jeder      
  Provinz und die Anzahl ihrer Einwohner zu wissen, um darnach die      
  Vertheilung zu machen; und stellen Sie sich vor - er erhält eine      
  Cabinetsordre vom Minister Wöllner geschrieben (der sogar seine Hand      
  nicht einmal verstellt hatte) in welcher ihm gesagt wird, er habe nicht      
  recht verstanden, er solle die Berechnung nur so einrichten, daß er      
  annähme, der Staat habe eine gewiße Anzahl Einwohner und eine gewiße      
  Summe Einkünfte und für diese berechnen, wie lange man den      
  Krieg führen könne, man werde alsdann schon das was man zu wissen      
  wünsche, selbst herausbringen. - Ferner waren in der Mobilmachungskommission      
  Leute, die recht gut den Militärdienst verstehen mögen, die      
  aber von den Finanzen gar nichts wissen, und doch wollte[n] diese nicht      
  blos Iaherren sein, daher widersprachen sie, so daß sehr oft eine und      
  dieselbe Ordre 10 bis 12 mal verändert wurde. - Endlich glaube      
  ich, hat der Minister auch darin einen Fehler begangen, daß er die      
  Getreideausfuhr erlaubte, das einzige worin er dem physiocratischen      
  System anhing. - Der Entschluß sich zu erschießen, wenn die Sache      
  nicht nach seinen Wünschen abliefe, ist von ihm schon 5 Wochen vor      
  seinem Tode gefaßt worden, das erhellet aus dem Umstande, daß er      
  so lange vorher sich Pistolen und Ladung hat geben laßen und sie in seinem      
  Schreibpult aufbewahrt hat. - Der Entschluß aber sich grade zu der      
  Zeit zu erschießen war augenblicklich; dis erhellet aus vielen Umständen,      
  die aber für diesen Brief zu weitläuftig sind, die ich also aufbewahren      
           
  werde, bis ich das Vergnügen genießen werde, den Herrn Professor      
  persönlich zu sprechen. - Sonderbar war es, daß er mit der Lorgnette      
  in der Hand vor dem Bildnisse des verstorbenen Königs sich erschossen      
  hat, das auch ganz mit Blut und Gehirn besprützt war.      
           
  Der König hat zwar auf die vom Geh. Rath von Segner erhaltene      
  Nachricht vom Tode des Ministers der Wittwe durch den Obristen      
  v. Geysau mündlich condoliren laßen, aber ihr bis jetzt auf ihren      
  Brief worin sie um eine Pension bittet, noch nicht geantwortet und      
  wird ihr auch wohl schwerlich antworten. Der Minister von SchulenburgKönern      
  hat die vacante Stelle erhalten, er hat aber folgende Bedingungen      
  (wie man sagt) gemacht. 1). daß er nur unter dem Könige      
  stehe 2). daß er das rückständige Ministergehalt, für die Iahre, da      
  er außer Diensten ist, d. i. 21,000 rthlr. erhalte 3). daß er seine      
  Stelle niederlege, wenn der Krieg geendigt ist. Der König hat ihm      
  überdis einen Krückstock des verstorbenen Königs, der 10,000 rthlr.      
  werth sein soll, geschenkt.      
           
  Ich werde wahrscheinlich nicht im Schulenburgschen Hause bleiben,      
  da jetzt dasselbe durch Weiber regiert wird, die nur nach Launen      
  handeln. Wie froh bin ich, daß mein Gehalt als Prinzenlehrer mich      
  vor Mangel sichert. Ich erhalte jährlich 300 rthlr., wovon ich nothdürftig      
  auskommen kann.      
           
  So eben erhalte ich durch HE. Nicolowius Ihre Abhandlung gegen      
  Eberhard als ein Geschenk Ihrer Güte. Ich darf es Ihnen wohl nicht      
  erst sagen, wie sehr ich durch alle Beweise Ihrer Güte gerührt bin,      
  es ist gewiß kein Mensch in der Welt, der Sie inniger liebt, inniger      
  schätzt als ich.      
           
  Ihrem verehrungswürdigen Freunde, dem HE. Prof. Krause empfehlen      
  Sie mich doch aufs beste. Seine Gesundheit ist doch vollkommen      
  wiederhergestellt? - Ich freue mich herzlich darauf ihn wiederzusehen;      
  denn so unangenehm mir der Vorfall mit dem Minister auch ist, so      
  soll mich doch nichts abhalten, innerhalb 8 Wochen nach Königsberg      
  zu reisen.      
           
  Ich bin mit der uneingeschränktesten Hochachtung      
           
    Ihr      
    aufrichtigster Verehrer      
    I. G. C. Kiesewetter.      
           
           
           
           
     

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