Kant: Briefwechsel, Brief 416, Von Gotthard Ludwig Kosegarten. |
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| Von Gotthard Ludwig Kosegarten. | |||||||
| 1. April 1790. | |||||||
| Verehrungswürdiger Mann, | |||||||
| Gold oder Silber hab' ich nicht. Was ich aber habe, das geb' | |||||||
| ich Ihnen - ein Sträuschen Feldblumen, wie sie wild und frei, ohne | |||||||
| sonderliche Zucht oder Pflege auf meinem Akker aufgeschossen sind. | |||||||
| Und ich weis, Sie sind zu gut, um sie zu verschmähen. | |||||||
| Sollte meine kleine Gabe Sie einigermassen für mich interessiren, | |||||||
| so wird es Ihnen nicht unangenehm sein, von dem Geber einiges | |||||||
| Näheres zu wissen. Statt aller Komplimente will ich Ihnen also von | |||||||
| mir erzählen. | |||||||
| Ich bin ein gebohrner Meklenburger. Mein Vater, ein sehr denkender | |||||||
| noch lebender Gottesgelehrter, unterwies mich in den Anfangsgründen | |||||||
| der Wissenschaften. Hernach hab' ich in Greifswald ein paar | |||||||
| Iahre studirt. Zween meiner Lehrer nahmen mich besonders in | |||||||
| Affekzion, die beiden Philosophen der Akademie, Ahlward, ein siebzigjähriger | |||||||
| Dogmatiker, und Muhrbek ein Eklektiker, beide von sehr vortreflichen | |||||||
| Herzen. Mit diesen stieg ich in alle Abgründe der Metaphysik | |||||||
| hinab, und fand, wie natürlich, wenig Trost. Vorhin war an | |||||||
| Gott, Tugend und Unsterblichkeit mir kein Zweifel eingekommen. Izt | |||||||
| kont' ich sie demonstriren, und zweifelte im Herzen - In meinem | |||||||
| Leben hab' ich nicht begreifen können, wie ein so dürrer unfruchtbarer | |||||||
| Satz, wie der des Wiederspruchs, eine Fundgrube von Entdekkungen | |||||||
| sein könne. In meinem Leben nicht, wie ich berechtigt sei, von meinen | |||||||
| Bedürfnissen, auf die objektive Realität des Bedurften zu schliessen. | |||||||
| Muhrbek glaubte an den Cartesianischen Beweis, Ahlward an den | |||||||
| kosmologischen. Bis zum Irrewerden hab, ich jenen zu fassen gearbeitet | |||||||
| und hab' es nicht vermocht. Diesen lies ich als ein sehr brauchbares | |||||||
| Raisonnement ad hominem gelten - Endlich scheitert' ich an dem | |||||||
| Problem der Freiheit. Muhrbek gab es für blosse Logomachie aus. | |||||||
| Ich fühlte das besser, sahe die Unauflöslichkeit des Dilemms, verzweifelte | |||||||
| nun, nicht an der Wissenschaft, sondern an meinem Gruzkopf, | |||||||
| glaubte, die leidige Schöngeisterei habe mich für alle Spekulazion | |||||||
| stumpf gemacht, entsagte ihr, warf mich in die Mathese, bei der ich | |||||||
| mir sehr wol sein lies, studirte dabei fleissigst, alles was Historie | |||||||
| heisst und heissen mag, las die Alten, und spielte mir zuweilen ein | |||||||
| Stükchen auf meiner Leier vor, wovon anbei eine ganze Frachtladung | |||||||
| erfolgt - Unter solchen Umständen gedieh ich kümmerlich zum SchulRektor | |||||||
| dieses Orts, wo ich in dieser Stunde den Horaz und Tazitus | |||||||
| lese, in jener mensa decliniren lasse, izt über die Zentralkräffte dozire, | |||||||
| izt über das Amt der Schlüssel - denn meine Kollegen sind alt oder | |||||||
| unfähig, und der Unterricht eines Hunderts Knaben, die Handwerker, | |||||||
| Schiffer, Kaufleute, Pastores und Professores werden wollen, ruht fast | |||||||
| allein auf meinen Schultern. Glüklicherweise verlässt meine Telyn und | |||||||
| meine gute Laune mich nicht, obgleich meine Gesundheit sehr in den | |||||||
| Legerwall geräth, wie man an diesem schifffahrenden Orte sagt; | |||||||
| denn um zu leben (Ich hab ein liebes Weib, und ein einziges holdes | |||||||
| Töchterchen - dreissig Iahr bin ich alt) mus ich von 24 Stunden | |||||||
| 15 arbeiten; und meinem ungeduldigen Feuertemperament will das | |||||||
| Sizzen wenig behagen. Iedoch ich verirre mich. Ich wollte Ihnen | |||||||
| sagen, daß ich seit ein paar Iahren Ihre Bücher lese, und gestimmt, | |||||||
| wie ich mich Ihnen oben geschildert habe, können Sie erachten, wie | |||||||
| sie auf mich würkten. Ich habe sie wahr gesunden vielleicht ein wenig | |||||||
| zu rasch für mich, weil ich vorbereitet war sie wahr zu finden, weil | |||||||
| sie mir so viel Erscheinungen in meinem spekulativen Leben erklärten, | |||||||
| weil so vieles darin aus dem Abyssus meiner Seele herausgeschrieben | |||||||
| war - kurz ich habe selige und Stunden der Verdamnis bei Ihren | |||||||
| Büchern gehabt, und mich wer weis wie oft an den Holzkopf geschlagen, | |||||||
| der nicht immer folgen wollte - aber bei weiten die meiste | |||||||
| Zeit strahlt' es mir in die Seele, wie heute die Morgensonne beim | |||||||
| Erwachen mir in die Augen strahlte | |||||||
| Ich mus aufhören, lieber, theuerer Mann, weil der glokkenschlag | |||||||
| mich in meine Klasse rufft - Gott segne sie, und erhalte sie noch | |||||||
| manche manche Iahre! Haben Sie mich ein wenig lieb, und, wenn | |||||||
| Sie einmahl nichts Klügers zu thun wissen, so schreiben Sie an | |||||||
| mich - Sie werden dadurch sehr erquikken | |||||||
| Ihren | |||||||
| Wolgast im Schwedischen | Sie ewig ehrenden und liebenden | ||||||
| Pommern | Ludwig Theobul Kosegarten. | ||||||
| am ersten April 1790. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 148 ] [ Brief 415 ] [ Brief 417 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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