Kant: Briefwechsel, Brief 366, Von Carl Leonhard Reinhold.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Carl Leonhard Reinhold.      
           
  14. Iuni 1789.      
           
  Ich habe, mein höchst verehrungswürdiger Lehrer und Freund!      
  Ihre beyden Briefe mit den lehrreichen Anmerkungen über das E. M.      
  nicht sobald erhalten, als ich durchdrungen von den in denselben so      
  völlig aufgedeckten unwürdigen Betragen jenes unphilosophischen      
  Schwätzers sogleich mit mir selbst über die beste Art des Gebrauchs      
  zu Rathe gieng, den ich von dem guten Schwerdte das sie mir so      
  gütig geborgt haben zu machen hätte. Der kürzeste Weg die Sache      
  vor den größten und besten Theil des lesenden Publikums gelangen      
  zu lassen schien mir die Allg. Litt. Zeitung, und ich lief sogleich zu      
  Prof. Schütz um anzufragen ob die Recension des 3 ten und 4 ten      
  Stückes (: die beyden ersten hat Herr Rehberg nach seiner Weise recensiert :)      
  schon vergeben wäre, und da dieß zum Glücke nicht der Fall      
  war mich zur Recension anzubiethen; da mir die Herausgeber ohnehin      
  die Wahl der Bücher zu überlassen die Gefalligkeit hatten. In einigen      
  Tagen war eine Rec. fertig die hoffentlich zwey Stücke ganz einnehmen      
  wird, und H: E. in seinem Aufsatz über die synthetischen Urtheile      
  gewis auf immer aller Competenz über die Critik der Vernunft zu      
  urtheiln vor aller Welt Augen verlustig überführt. Ich habe mich      
  Ihrer Erlaubniß sie zu nennen nur in soferne bedient, als ich an      
           
  Ende um das Publikum in Standzusetzen zwischen mir und E. in einer      
  Sache die ganz auf den Sinn Ihrer Worte hinausläuft zu urtheilen      
  in Ihren Namen erklärte, daß E. jedes Hauptmoment ihres Systemes      
  ganz misverstanden habe. Ohne dieß würde E. wie es sein Schildknappe      
  Maas, und Flatt u. a. m. gethan haben das Argument retorquirt      
  und behauptet haben, der Recensent nicht E. haben Ihren      
  Sinn verfehlt. Die Recension wird wie ich glaube in acht Tagen      
  gedrukt seyn. - Den das zweyte Stück größtentheils betreffenden      
  Inhalt Ihres zweyten Briefes behalte ich als Corps de Reserve vor,      
  um auf die unausbleibliche Antikritik des H: E. damit hervorzurücken,      
  und seinem Magazine damit den Rest zu geben. Die Stellen ihres      
  Briefes wollte ich alle mit Cursiv abdrucken, und der bereits erwähnten      
  Erklärung noch beyfügen lassen, daß die Cursivstellen Ihnen angehörten.      
  Aber Schütz hielt es aus allerley Gründen nicht für thunlich, und ich      
  erlaubte ihm dieses in der Recension nach seinem Gutbefinden abzuandern.      
  Sehr gut wäre es wenn ich von Ihnen auch in Rücksicht anderer Erlaubniß      
  hätte, oder vielmehr sie je verdienen könnte meine Beweise      
  daß Sie misverstanden worden mit ihrem Zeugnisse zu bekräftigen.      
  Denn nun will jeder, der vorher über Ihre Unverständlichkeit klagte,      
  auf einmal sie verstanden haben, da ihm das Gegentheil gezeigt wird.      
           
  Sie haben mir zwar Ihr Urtheil über meine Abhandlung über      
  die Schicksale Ihrer Philosophie, die Gottlob gute Wirkung zu      
  thun anfengt, noch nicht mitgetheilt, und waren wahrscheinlich bisher      
  abgehalten sie zu lesen. Gleichwohl wage ich die Zudringlichkeit ihnen      
  das erste Buch des Werkchens wozu jene Abhandlung die Vorrede seyn      
  soll gegenwärtig zu übersenden, mit der Bitte sie in abgerissenen, und      
  geschäftefreyen Viertelstündchen gefälligst zu durchblättern. Das zweyte      
  Buch welches die eigentliche Theorie des Vorstellungsvermögens überhaupt      
  enthält, sehe ich für die eigentlichen Prämissen Ihrer Theorie      
  des Erkenntnißvermögens, und den Schlüssel zur Kritik der Vernunft      
  an. Finden sie daß es das erste wirklich ist: so werde ich bitten,      
  daß sie mir die Stelle ihres Briefes in welcher sie mir dieß Zeugni      
  geben werden, dem Vorberichte den ich dem ganzen Werke voranschicken      
  will einzuverleiben erlauben. Merkwürdig ist es immer, da      
  alle wesentliche Resultate ihrer Kritik der Vernunft in jener auf das      
  blosse Bewußtseyn gebauten Theorie ihre vollkommste Bestättigung      
  finden, und die für sich selbst feststehende Theorie des Erkenntnißvermögens      
           
  auf einem ganz verschiedenen Wege eben so unerschütterlich      
  befunden wird. Ich nenne sie Schlüssel zur Cr. d. V. in wie ferne      
  alles was den Gegnern davon bisher Geheimniß war, durch den blossen      
  Begrif der blossen Vorstellung aufgeschlossen wird. Die eigentliche      
  Theorie des Vorstellgsv[ermögens] wird, da sie nicht viel über sechs Bogen      
  betragen wird, wohl auch in sechs Wochen gedruckt seyn, und von mir sogleich      
  an Sie gesendet werden. Das dritte Buch wird die Applikation      
  auf die Theorie [des] Erkenntnißvermögens enthalten.      
           
  Dürfte ich nicht gehors. bitten das übersendete nach Ihrer besten      
  Gelegenheit dem Herrn Prof. Krause mitzutheilen. Er würde sich um      
  mich und unsre gemeinschaftliche gute Sache ein beträchtliches Verdienst      
  machen, wenn er die Theorie des Vorstellungsvermögens für die A. L. Z.      
  recensierte. Da er die einzelnen Stücke davon so frühzeitig erhält, so      
  konnte die Recension bey Erscheinung des Buches um Michaelis fertig      
  seyn, ohne daß dieß Geschäft mit seinen übrigen Arbeiten in sonderliche      
  Collision käme. Auch ist der Inhalt des ganzen so unmetaphysisch,      
  und so ganz wie ich hoffe mit den geläufigsten Begriffen      
  dieses würdigen Mannes harmonisch, daß ich mir schmeichle, er werde      
  sich zu einer kleinen Untreue an der Mathematik auf einige Stunden      
  verleiten lassen. Ich für meine Person kann es freylich nicht wagen      
  Ihm diese Bitte vorzulegen, die nach dem was mir Prof. Hufeland      
  aus einem Briefe von Ihm vorlas die unverantwortlichste Zudringlichkeit      
  seyn würde. Indessen wie viel würde die Abhandlung über die      
  Schicksale, welche als Vorläufer meines Buches bestimmt ist auf eine      
  grössere Anzahl, und zwar nicht nur auf Philosophen von Profession      
  allein zu wirken gewonnen haben, wenn Sie von diesem Manne,      
  (den ich unter uns gesagt aus seiner Anzeige des Russischen Glossars,      
  und einigen andern für den ersten aller Recensenten halte) angezeigt      
  worden wäre. Sie ist nun Herrn Rehberg heimgefallen, der sich so      
  gute Zeit dazu läßt, daß ihm die Göttinger mit ihren schiefen Nachrichten      
  bereits zuvorgekommen sind, und von dem ich mir da er die      
  Kritik der V. nur halb verstanden hat, für mich keine sonderliche Befriedigung      
  versprechen kann. Wenn er noch einige Wochen verzieht so      
  werde ich selbst einen blossen Auszug ohne alles Urtheil veranstalten;      
  denn Wieland, Göthe, und noch mehrere meiner Bekannten versichern      
  mir einstimig daß die Art von indirekten Beweis welche dieß Schriftchen      
  für die Probehaltigkeit Ihrer Philosophie ad hominem aufstellt für die      
           
  Sache selbst, die itzt von so vielen sogenannten Prüfern so sehr verdreht,      
  verzerrt, und verunstaltet wird, daß das Publikum nicht wei      
  wie es dabey daran ist, von Wirkung seyn müsse.      
           
  Alle Ihre Verehrer sehnen sich nach einer Samlung Ihrer kleineren      
  Schriften, dergleichen in der berlinischen Monatschrift u. a. sind; und ich      
  kenne Buchhändler, die jeden in ihren Gegenden, die wenn das Gerücht      
  Wahrheit sagt sehr gering honoriren, den Rang ablaufen würden,      
  welches Sie daraus schliessen können, da mir Ihrem unbedeutenden      
  Schüler! für mein Buch 3 vollwichtige Louisdor für den Bogen ohne      
  mein Fordern angebothen sind; und doch bekomme ich blos darum so      
  viel, weil ich Ihre Philosophie predige.      
           
  Schiller mein Freund und wie ich nach einer innigen Bekanntschaft      
  mit ihm überzeugt bin der besten itzt lebenden Köpfen einer horcht      
  ihren Lehren durch meinen Mund. Die Universalgeschichte die er      
  schaffen wird, ist nach ihrem Plan angelegt, den er mit einer Reinheit      
  und einem Feuer auffaßte, die mir ihn noch einmal so theuer      
  machten. Er hat bereits seine Vorlesungen angefangen mit einem      
  Beyfall den hier noch keiner vielleicht in diesem Grade gefunden hat.      
  Er hat mich gebethen seine Person unter ihren warmsten und innigsten      
  Verehrern zu nennen.      
           
  Ich war diese Osterferien in Leipzig und habe meinen alten Bekannten      
  Herrn Plattner in einer sehr furchtsamen und verdrüßlichen      
  Laune, über den leidigen Gang der Philosophie, wie er sich ausdrückte,      
  angetroffen. Er klagt, daß die Kantianer einen gar zu argen Skepticism      
  einführen wollen, der alles Gute was er und seines Gleichen gestiftet      
  haben, so ganz zu Boden trätte; kurz der Mann hat sie gänzlich misverstanden.      
  Gleichwohl will er durchaus nicht unter Ihre Gegner gezählt      
  werden, und hat mich sogar (: NB :) gebethen, im teutschen Merkur      
  oder wo ich sonst könnte ihm das Zeugniß zu geben, daß er in seinen      
  Vorlesungen, denen ich zuweilen als ich vor 5 Iahren in Leipzig      
  lebte, beywohnte, mit Ehrerbietung von ihrem Werke gesprochen habe.      
  Ich verließ ihm dießmal mit etwas herabgestimter Meynung von seiner      
  theorethischen und praktischen Philosophie. An Eb. in Halle, mit      
  dem ich bey Semlern speiste, und den ich nicht besucht habe - fand      
  ich einen wahren Camäleon.      
           
  Und nun dürfte es Zeit seyn daß ich meinen langen und schwatzhaften      
  Brief mit der Bitte um eine Antwort beschliesse, in welcher Sie      
           
  mir allenfalls auch nur Vergebung für meine Zudringlichkeit ankündigen.      
  Mit unwandelbarer Verehrung und Liebe ewig      
           
  Iena. 14. Iunius 789. Ihr ganz eigener      
    Reinhold.      
           
  Ich bitte meiner gegen den vortreflichen H: Prof. Krause gütigst      
  zu erwähnen.      
           
  N. S.      
           
  Pater Reuß in Würzburg hat bey mir um Erlaubniß angesucht      
  meine Briefe über die kantische Philosophie von allem anstössigen gegen      
  den Katholicism gereiniget, und mit Anmerkungen zum Gebrauch seiner      
  Zuhörern herauszugeben, welches ich ihm unbeschadet meiner eigenen      
  künftigen Ausgabe bewilligte.      
           
           
           
     

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