Kant: Briefwechsel, Brief 360, An Carl Leonhard Reinhold.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Carl Leonhard Reinhold.      
           
  19. Mai 1789.      
           
  Ich füge zu meinen den 12ten h. überschickten Bemerkungen Werthester      
  Freund noch diejenige hinzu, welche die zwey ersten Stücke des phil.      
  Magaz. betreffen, eine ekelhafte Arbeit, (weil sie lauter Wortverdrehungen      
  zurecht zu stellen hat) die auch von Ihnen mir nicht angesonnen wird,      
  gleichwohl aber doch nothwendig zu seyn scheint, um gleich Anfangs      
  die Seichtigkeit und Falschheit eines blos auf Ränke gestimmten Autors      
  dem Publicum vor Augen zu stellen.      
           
  S. 12. "Plato und Aristot: schlossen etc. (von dem letzteren gilt      
  ja gerade das Gegentheil. Das nihil est in intellectu, quod non      
  antea fuerit in sensu der Aristotelischen Schule ist ja das (mit Locks      
  Grundsatze übereinstimmende) Criterium des Unterschiedes der letzteren      
  von der platonischen).      
           
  S. 23: "Die Metaph. dieser Philos. etc. (die Materialien dazu      
  und vollständig ohne alle Ausnahme in der Critik anzutreffen).      
           
  S. 25-26 unten: "heißt es: Die sinnliche Begriffe etc. (hier ist      
  eine doppelte Ungereimtheit. Reine Vernunftbegriffe, die Eberhard      
  mit reinen Verstandesbegriffen für einerley nimmt, führt er als solche      
  an, die von sinnlichen Begriffen abgezogen worden (folglich wie etwa      
  Ausdehnung, oder Farbe, in der Vorstellung der Sinne gelegen haben)      
  welches gerade das Gegentheil von dem ist, was ich zum Merkmal      
  der r. V. Begriffe angebe. Und dann ist mittelbar=Anschauen ein      
  Wiederspruch. Ich sage nur das einem r. V. Begriffe eine Anschauung      
  correspondirend könne gegeben werden, in welcher aber nichts von      
  jenem enthalten ist, sondern die nur das Mannigfaltige enthält, worauf      
  der Verstandesbegrif die synthetische Einheit der Apperception anwendet,      
  der also für sich ein Begrif von einem Gegenstande überhaupt ist, die      
  Anschauung mag seyn von welcher Art sie wolle).      
           
           
  S. 156. "Das heißt nichts Anders als etc." (Hier redet er von      
  nothwendigen Gesetzen etc., ohne zu bemerken, daß in der Critik eben      
  die Aufgabe ist: welche Gesetze die objectiv=nothwendigen sind und      
  wodurch man berechtigt ist sie, als von der Natur der Dinge geltend,      
  anzunehmen, d. i. wie sie synthetisch und doch a priori möglich sind;      
  denn sonst ist man in Gefahr mit Crusius, dessen Sprache Eberhard      
  an dieser Stelle führt, eine blos subiective Nothwendigkeit aus Gewonheit      
  oder Unvermögen, sich einen Gegenstand auf andere Art      
  faslich zu machen, für Obiectiv zu halten).      
           
  S. 157-58. "Ich meines gringen Theils etc. (Hier könnte      
  man wohl fragen, wie ein fremder Gelehrter, dem man den Hörsal      
  der Sorbonne mit dem Beysatz zeigte: Hier ist seit 300 Iahren disputirt      
  worden: Was hat man denn ausgemacht?)      
           
  S. 158. "Wir können an ihrer Erweiterung immer fortarbeiten      
  - ohne uns - einzulassen. Auf die Art etc. (Hier muß man ihn      
  nun festhalten. Denn seine Declaration betrift einen wichtigen Punct,      
  nämlich ob Critik d. V. vor der Metaph. vorhergehen müsse, oder      
  nicht, und von S. 157 bis 159 beweiset er, seine verwirrte Idee von      
  dem, warum es in der Critik zu thun ist, zugleich aber auch seine      
  Unwissenheit, da wo er mit Gelehrsamkeit paradiren will, so sehr, da      
  auch nur an dieser Stelle allein das Blendwerk, was er in Zukunft      
  machen will, aufgedeckt wird. Er redet S. 157 von metaphysischer      
  (im Anfange des Abschnitts von transscendentaler) Warheit und dem      
  Beweise derselben, im Gegensatze mit der Logischen Warheit und ihrem      
  Beweise. Aber alle Warheit eines Urtheils, sofern sie auf obiectiven      
  Gründen beruht, ist logisch, das Urtheil selbst mag zur Physik oder      
  der Metaphys. gehören. Man pflegt die logische Warheit der ästhetischen      
  (die für die Dichter ist) z. B. den Himmel als ein Gewölbe und den      
  Sonnenuntergang als Eintauchung ins Meer vorzustellen, entgegen zu      
  setzen. Zu der letzteren erfodert man nur, daß das Urtheil den allen      
  Menschen gewöhnlichen Schein, mithin Ubereinstimmung mit subiectiven      
  Bedingungen zu urtheilen, zum Grunde habe. Wo aber lediglich von      
  obiectiven Bestimmungsgründen des Urtheils die Rede ist, da hat noch      
  niemand zwischen geometrischer, physischer, oder metaphysischer - und      
  logischer Warheit einen Unterschied gemacht.      
           
  Nun sagt er S. 158 "Wir können (an ihrer Erweiterung) immer      
  fortarbeiten etc. ohne uns auf die transsc: Gültigkeit dieser Warheiten      
           
  vor der Hand einzulassen." (Vorher S. 157 hatte er gesagt das Recht      
  auf die logische Warheit würde jetzt bezweifelt, und nun spricht er      
  S. 158. daß auf die transscend. Warheit (vermuthlich eben dieselbe,      
  die er bezweifelt nennt) vor der Hand nicht nöthig sey, sich ein zulassen.      
  Von der Stelle S. 158 an "Auf diese Art haben selbst die      
  Mathematiker die Zeichnung ganzer Wissenschaften vollendet, ohne      
  von der Realität des Gegenstandes derselben mit einem      
  Worte Erwähnung zu thun u.s.w." zeigt er die gröbste Unwissenheit,      
  nicht blos in seiner vorgeblichen Mathematik, sondern auch die      
  gänzliche Verkehrtheit im Begriffe von dem, was die Critik d. V. in      
  Ansehung der Anschauung fodert, dadurch den Begriffen allein obiective      
  Realität gesichert werden kan. Daher muß man bey diesem von ihm      
  selbst angeführten Beyspielen etwas verweilen.      
           
  Hr. Eberhard will sich von der allem Dogmatism so lästigen,      
  aber gleichwohl unnachlaslichen Foderung, keinem Begriffe den Anspruch      
  auf den Rang von Erkentnissen einzuräumen, wofern seine      
  obiective Realität nicht dadurch [erhellt], daß der Gegenstand in einer      
  jenem correspondirenden Anschauung dargestellt werden könne, dadurch      
  losmachen, daß er sich auf Mathematiker beruft, die nicht mit einem      
  Worte von der Realität des Gegenstandes ihrer Begriffe Erwähnung      
  gethan haben sollen und doch die Zeichnung ganzer Wissenschaften      
  vollendet hätten; Eine unglücklichere Wahl von Beyspielen zur Rechtfertigung      
  seines Verfahrens hätte er nicht treffen können. Denn es      
  ist gerade umgekehrt: sie können nicht den mindesten Ausspruch über      
  irgend einen Gegenstand thun, ohne ihn (oder, wenn es blos um      
  Größen ohne Qvalität, wie in der Algebra, zu thun ist, die unter      
  angenommenen Zeichen gedachte Größenverhältnisse) in der Anschauung      
  darzulegen. Er hat, wie es überhaupt seine Gewonheit ist, anstatt      
  der Sache selbst durch eigene Untersuchung nachzugehen, Bücher durchgeblättert,      
  die er nicht verstand und in Borelli dem Herausgeber der      
  Conic. Apollonii eine Stelle "Subiectum enim - - - delineandi      
  aufgetrieben, die ihm recht erwünscht in seinen Kram gekommen zu      
  seyn scheint. Hätte er aber nur den mindesten Begrif von der Sache      
  von der Borelli spricht, so würde er finden: daß die Definition die      
  Apollonius z. B. von der Parabel giebt schon selbst die Darstellung      
  eines Begrifs in der Anschauung nämlich in dem unter gewissen Bedingungen      
  geschehenden Schnitte des Kegels war und daß die obiective      
           
  Realität des Begrifs, so hier, wie allerwerts in der Geometrie, die      
  Definition zugleich construction des Begriffes sey. Wenn aber, nach      
  der aus dieser Definition gezogenen Eigenschaft dieses Kegelschnittes,      
  nämlich, daß die Semiordinate die mittlere Proportionallinie zwischen      
  dem Parameter und der Abscisse sey, das Problem aufgegeben wird:      
  der Parameter sey gegeben, wie ist eine Parabel zu zeichnen? (d. i.      
  wie sind die Ordinaten auf den gegebenen Diameter zu appliciren)      
  so gehört dieses, wie Borelli mit Recht sagt, zur Kunst, welche als      
  practisches Corollarium aus der Wissenschaft und auf sie folgt; denn      
  diese hat es mit den Eigenschaften des Gegenstandes, nicht mit der      
  Art ihn unter gegebenen Bedingungen hervorzubringen zu thun.      
  Wenn der Cirkel durch die krumme Linie erklärt wird, deren alle      
  Puncte gleich weit von einem (dem Mittelpuncte) abstehen: ist denn      
  da dieser Begrif nicht in der Anschauung gegeben, obgleich der practische      
  daraus folgende Satz: einen Cirkel zu beschreiben (indem      
  eine gerade Linie um einen festen Punct auf einer Ebene bewegt      
  wird) gar nicht berührt wird? Eben darinn ist die Mathematik das      
  große Muster für allen synthetischen VernunftGebrauch, daß sie es      
  an Anschauungen nie fehlen läßt, an welchen sie ihren Begriffen obiective      
  Realität giebt, welcher Foderung wir im philosophischen und zwar      
  theoretischen Erkentnis nicht immer Gnüge thun können, aber alsdenn      
  uns auch bescheiden müssen, daß unsere Begriffe auf den Rang      
  von Erkentnissen (der Obiecte) keinen Anspruch machen können, sondern,      
  als Ideen, blos regulative Principien des Gebrauchs der Vernunft      
  in Ansehung der Gegenstände, die in der Anschauung gegeben, aber      
  nie, ihren Bedingungen nach, vollständig erkannt werden können, enthalten      
  werden.      
           
  S. 163. "Nun kan dieser Satz (des zureichenden Gr.) nicht      
  anders etc." (Hier thut er ein Geständnis welches vielen seiner Aliirten      
  im Angriffe der Critik nämlich den Empiristen nicht lieb seyn wird,      
  nämlich: daß der Satz des zureichenden Grundes nicht anders      
  als a priori möglich sey, zugleich aber erklärt er, daß derselbe nur      
  aus dem Satze des Wiederspruchs bewiesen werden könne, wodurch er      
  ihn ipso facto blos zum Princip analytischer Urtheile macht und dadurch      
  sein Vorhaben, durch ihn die Möglichkeit synthetischer Urtheile      
  a priori zu erklären, gleich Anfangs zernichtet. Der Beweis fällt      
  daher auch ganz jämmerlich aus. Denn indem er den Satz des z. Gr.      
           
  zuerst als ein logisches Princip behandelt (welches auch nicht anders      
  möglich ist, wenn er ihn aus dem Princ: Contrad . beweisen will) da      
  er denn so viel sagt, als: Iedes assertorische Urtheil muß gegründet      
  seyn, so nimmt er ihn im Fortgange des Beweises in der Bedeutung      
  des metaphysischen Grundsatzes: Iede Begebenheit hat ihre Ursache,      
  welches einen ganz anderen Begrif vom Grunde, nämlich den des      
  Realgrundes und der Caussalität in sich faßt, dessen Verhältnis zur      
  Folge keineswegs so, wie die des logischen Grundes, nach dem Satze      
  des Wiederspruchs vorgestellt werden kan. Wenn nun S. 164 der      
  Beweis damit anfängt: zwey Sätze, die einander wiedersprechen      
  können nicht zugleich wahr seyn und das Beyspiel S. 163: wo      
  gesagt wird, daß eine Portion Luft sich gegen Osten bewege, mit jenem      
  Vordersatze verglichen wird, so lautet die Anwendung des logischen      
  Satzes des zureichenden Grundes auf dieses Beyspiel so: Der Satz:      
  Die Luft bewegt sich nach Osten muß einen Grund haben; denn ohne      
  einen Grund zu haben d. i. noch eine andere Vorstellung als den Begrif      
  von Luft und den von einer Bewegung nach Osten, ist jener in      
  Ansehung dieses Prädikats ganz unbestimmt. Nun ist aber der angeführte      
  Satz ein Erfahrungssatz folglich nicht blos problematisch gedacht,      
  sondern als assertorisch, gegründet und zwar in der Erfahrung      
  als einer Erkentnis durch verknüpfte Warnehmungen. Dieser      
  Grund ist aber mit dem, was in demselben Satze gesagt wird, identisch,      
  (nämlich ich spreche von dem was gegenwärtig ist nach Warnehmungen,      
  nicht von dem, was blos möglich ist, nach Begriffen), folglich ein      
  analytischer Grund des Urtheils, nach dem Satze des Wiederspruchs,      
  hat als mit dem Realgrunde, der das synthetische Verhältnis zwischen      
  Ursache und Wirkung an den Obiecten selbst betrift, gar nichts gemein.      
  Nun fängt also Eberhard von dem analytischen Princip des zureichenden      
  Grundes (als logischem Grundsatze) an und springt zum metaphysischen,      
  als solchen aber jederzeit synthetischen Princip der Caussalität,      
  von welchem in der Logik nie die Rede seyn kan, über, als ob      
  er denselben bewiesen habe. Ec hat also das, was er beweisen wollte,      
  gar nicht, sondern etwas, worüber nie gestritten worden ist, bewiesen      
  und eine grobe fallaciam ignorationis Elenchi begangen. Aber ausser      
  dieser vorsetzlichen Hinhaltung des Lesers ist der Paralogism S. 163      
  "Wenn z. B." bis S. 164 "unmöglich ist" zu arg, als daß er nicht      
  angeführt zu werden verdiente. Wenn man ihn in syllogistischer Form      
           
  darstellt, so würde er so lauten: Wenn kein zureichender Grund wäre,      
  warum ein Wind sich gerade nach Osten bewegte, so würde er eben      
  so gut (statt dessen; denn das muß Eberhard hier sagen wollen      
  sonst ist die Conseqvenz des hypothetischen Satzes falsch) sich nach      
  Westen bewegen können: Nun ist kein zureichender Grund etc. Also      
  wird er sich eben so gut nach Osten und Westen zugleich bewegen      
  können, welches sich wiederspricht. Dieser Syllogism geht also auf      
  vier Füßen.      
           
  Der Satz des zureichenden Grundes, so weit ihn Hr. Eberh. bewiesen      
  hat, ist also immer nur ein logischer Grundsatz und analytisch.      
  Aus diesem Gesichtspunct betrachtet wird es nicht zwey, sondern drey      
  logische Principien der Erkentnis geben: 1) den Satz des Wiederspruchs,      
  von categorischen 2) den Satz des (logischen) Grundes      
  von hypothetischen 3) den Satz der Eintheilung (der Ausschließung      
  des Mittleren zwischen zwey einander contradictorisch entgegengesetzten)      
  als den Grundsatz disjunctiver Urtheile. Nach dem ersten Grundsatze      
  müssen alle Urtheile erstlich, als problematisch (als bloße Urtheile)      
  ihrer Möglichkeit nach, mit dem Satze des Wiederspruchs, zweytens,      
  als assertorisch (als Sätze), ihrer logischen Wirklichkeit d. i. Warheit      
  nach, mit dem Satze des z. Grundes, drittens, als apodictische      
  (als gewisse Erkentnis) mit dem princ: exclusi medii inter duo contrad .      
  in Ubereinstimmung stehen; weil das apodictische Fürwahrhalten nur      
  durch die Verneinung des Gegentheils, also durch die Eintheilung      
  der Vorstellung eines Prädicats, in zwey contradictorisch entgegengesetzte      
  und Ausschließung des einen derselben gedacht wird.      
           
  S. 169 ist der Versuch, zu beweisen, daß das Einfache, als das      
  Intelligibele, dennoch anschaulich gemacht werden könne, noch erbärmlicher      
  als alles Übrige ausgefallen. Denn er redet von der concreten      
  Zeit, als etwas Zusammengesetzten, dessen einfache Elemente Vorstellungen      
  seyn sollen und bemerkt nicht, daß um die Succession jener      
  concreten Zeit sich vorzustellen, man schon die reine Anschauung der      
  Zeit, worinn jene Vorstellungen sich succediren sollen, voraussetzen      
  müsse. Da nun in dieser nichts Einfaches ist, welches der Autor unbildlich      
  (oder nicht=sinnlich) nennt, so folgt daraus ungezweifelt da      
  in der Zeitvorstellung überhaupt der Verstand über die Sphäre der      
  Sinnlichkeit sich gar nicht erhebe. Mit seinen Vorgeblichen ersten      
  Elementen des Zusammengesetzten im Raume, nämlich dem Einfachen,      
           
  S. 171, verstößt er so sehr wieder Leibnitzens wahre Meynung, als      
  gröblich wieder alle Mathematik. Nun kan man aus dem bey S. 163      
  angemerkten über den Werth von dem, was er von S. 244 bis 56,      
  schreibt und der obiectiven Gültigkeit seines logischen Satzes vom      
  z. Grunde urtheilen. Er will S. 156 aus der subiectiven Nothwendigkeit      
  des Satzes vom z. Gr. (den er nunmehr als Princip der Caussalität versteht)      
  von den Vorstellungen, daraus er besteht und ihrer Verbindung      
  schließen: daß der Grund davon nicht blos im Subiect, sondern in den      
  Obiecten liegen müsse; wiewohl ich zweifelhaft bin ob ich ihn in dieser      
  verwirrten Stelle verstehe. Aber was hat er nöthig solche Umschweife zu      
  machen da er ihn aus dem Satze des Wiederspruchs abzuleiten vermeynt?      
           
  Ich weiß nicht ob ich in meinem vorigen Briefe von der (S. 272      
  "Ich muß hier ein Beyspiel brauchen" bis S. 274 "keine Realität      
  haben?") seltsamen und gänzlich allen Streit mit diesem Manne aufzuheben      
  berechtigenden Misverstehung, oder Verdrehung, meiner Erklärung      
  der Vernunftideen, denen angemessen keine Anschauung gegeben      
  werden kan und überhaupt des Uebersinnlichen Erwähnung gethan      
  habe. Er giebt nämlich vor, der Begrif eines Tausendecks      
  sey dergleichen und gleichwohl könne man viel von ihm mathematisch      
  erkennen. Nun ist das eine so absurde Verkennung des Begrifs vom      
  Übersinnlichen, daß ein Kind sie bemerken kan. Denn es ist ja die      
  Rede von der Darstellung in einer uns möglichen Anschauung, nach      
  der Qvalität unserer Sinnlichkeit, der Grad derselben d.i. der      
  Einbildungskraft das Mannigfaltige zusammenzufassen, mag auch so      
  groß oder klein seyn wie er wolle, so daß wir, wenn uns auch etwas      
  für ein MillionEck gegeben wäre, und wir den Mangel einer einzigen      
  Seite geradezu beym ersten Anblicke bemerken könnten, diese      
  Vorstellung dadurch doch nicht aufhören würde sinnlich zu seyn und die      
  Möglichkeit der Darstellung des Begrifs von einem Tausendeck in der      
  Anschauung, die Möglichkeit dieses Obiects selbst in der Mathematik      
  allein begründen kan; wie denn die Construction desselben nach allen      
  seinen Reqvisiten vollständig vorgeschrieben werden kan, ohne sich um      
  die Größe der Meßschnur zu bekümmern, die erfoderlich seyn würde,      
  um diese Figur nach allen ihren Theilen für eines jeden Auge merklich      
  zu machen. - Nach dieser falschen Vorstellungsart kan man den      
  Mann beurtheilen.      
           
  Er ist stark in falschen Citaten, wie S. 19-20 vornemlich S. 301.      
           
  Aber S. 290, imgleichen 298 und weiter hin, übertrift er sich selbst;      
  denn da wird er ein wirklicher Falsarius. Er citirt Crit. d. r. V.      
  S. 44 der älteren Ausgabe wo ich gesagt habe: Die Leibnitz      
  Wolfische Philosophie hat daher allen Untersuchungen über      
  die Natur etc. und führt sie so an: Hr. K: hat der Leibnitzischen etc.      
  bis betrachte etc. Wie es nun gewissen Leuten zu gehen pflegt, da      
  sie zuletzt das selbst glauben, was sie mehrmals gelogen haben, so      
  geräth er nach und nach über diesen vorgeblich gegen Leibnitzen gebrauchten      
  unbescheidenen Ausdruck so in Eifer, daß er das Wort verfälscht,      
  welches blos in seinem Gehirn existirte, auf einer Seite (298)      
  dem Verfasser der Critik dreymal vorrückt - Wie nennt man den,      
  der ein zu einem Rechtsstreit gehoriges Document vorsätzlich verfälscht?      
           
  Ich begnüge mich mit diesen wenigen Bemerkungen, wovon ich      
  bitte nach ihrem Gutbefinden aber wo möglich auf eine nachdrückliche      
  Art, Gebrauch zu machen. Denn Bescheidenheit ist von diesem Manne,      
  dem Grosthun zur Maxime geworden ist, sich Ansehen zu erschleichen,      
  nicht zu erwarten. Ich würde mich namentlich in einen Streit mit      
  ihm einlassen, aber da mir dieses alle Zeit, die ich darauf anzuwenden      
  denke, um meinen Plan zu Ende zu bringen, rauben würde, zudem      
  das Alter mit seinen Schwächen schon merklich eintritt, so muß ich      
  meinen Freunden diese Bemühung überlassen und empfehlen, im Fall      
  daß sie die Sache selbst der Vertheidigung werth halten. Im Grunde      
  kan mir die allgemeine Bewegung, welche die Critik nicht allein erregt      
  hat, sondern noch erhält, sammt allen Allianzen, die wieder sie gestiftet      
  werden (wiewohl die Gegner derselben zugleich unter sich uneinig      
  sind und bleiben werden), nicht anders als lieb seyn; denn das erhält      
  die Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand. Auch geben die unaufhörliche      
  Misverständnisse oder Misdeutungen Anlas, den Ausdruck hin      
  und wieder bestimmter zu machen, der zu einem Misverstande Anlas      
  geben könnte: und so fürchte ich am Ende nichts von allen diesen Angriffen,      
  ob man gleich sich dabey ganz ruhig verhielte. Allein einen      
  Mann, der aus Falschheit zusammengesetzt ist und mit allen den Kunststücken      
  z. B. dem der Berufung auf misgedeutete Stellen berühmter      
  Männer, wodurch beqveme Leser eingenommen werden können, um ihm      
  blindes Zutrauen zu widmen, bekannt und darinn durch Naturel und      
  lange Gewonheit gewandt ist, gleich zu Anfang seines Versuchs in      
  seiner Blöße darzustellen ist Wohlthat fürs gemeine Wesen. Feder ist      
           
  bey aller seiner Eingeschränktheit doch ehrlich; eine Eigenschaft die      
  jener in seine Denkungsart nicht aufgenommen hat.      
           
  Ich empfehle mich Ihrer mir sehr werthen Freundschaft und Zuneigung      
  mit der größten Hochachtung für die Rechtschaffenheit Ihres      
  Characters und bin unveränderlich      
           
    ganz ergebener Freund und Diener      
  Koenigsberg I. Kant      
  den 19 May        
  1789        
           
           
           
     

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