Kant: Briefwechsel, Brief 350, Von Iohann Gottlieb Schummel.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Gottlieb Schummel.      
           
  28. März 1789.      
           
  Wohlgebohrner,      
  Höchstzuverehrender Herr Profeßor,      
  Einen Mann wie Sie, der schon so lange der Gegenstand des      
  ganzen denkenden Deutschlands ist, der die ganze philosophische Welt      
  in 2 Partheien theilt, wovon auch die feindliche sich nicht entbrechen      
  kan Ihr Uebergewicht zu fühlen, einen solchen Mann zu einer Privatangelegenheit      
  herabziehen wollen, ist wohl eine Sache, zu der man erst      
  einen langen Entschuldigungs=Prologus schreiben möchte: Und doch,      
  wenn diese Privatangelegenheit das Wohl eines Menschen betrift, so      
  denk ich von Ihrer practischen Philosophie eben so vortheilhaft als von      
  Ihrer theoretischen, und bin überzeugt, meine Sache wird Ihnen nicht      
  als klein vorkommen. Ueberbringer dieses kommt zu Ihnen als      
  Student. Wenn Physiognomie zu irgend jemands Vortheile sprechen      
  kan, so denk ich kan ich blos darauf appelliren: Aber die Natur, die      
  ihn von dieser Seite gütig bedacht hat, hat ihn auf der andern Seite      
  sehr, sehr arm gemacht. Wäre ich reich, so wäre der Sache abgeholfen!      
  Ich zweifle beinahe, ob auch Sie es sind: Aber von einer Seite sind      
  Sie es gewiß, den guten Liewald von Ihrem Unterrichte frey profitiren      
  zu laßen, und ihm, wenn Sie ihn in der Folge es würdig finden,      
  auch anderweitig Ihre Empfehlung und Vorsprache zu schenken. Ich      
  schreibe dies als ein Mann, der selbst mit Empfehlungen genug bombardirt      
  wird, und folglich gar wohl weiß, wie wenig man oft auch      
  den dringendsten entsprechen kan: Thun Sie, würdiger Mann, was      
  Sie können; auch das wenigste empfang ich dankbar als mir selbst      
  geschehen.      
           
  Uebrigens müste mir der Schiffer, der mit Liewald schleunig davon      
  fahren wil, nicht so auf dem Hacken sitzen, um es Ihnen mit einiger      
  Muße zu sagen, welche wohlthätige Erscheinung für mich Ihre Kritik      
  gewesen ist. Schon als Student in Halle bekam ich das Wolfische      
  Demonstrir=Fieber herzlich satt; ich habe als Christ lange geglaubt,      
  daß Wolf, ohne Absicht, der Religion großen Schaden gethan hat; da      
  kam mir denn der Mann wie vom Himmel, der jene morschen Säulen      
  einschoß. Sie brauchen keines Champions: aber wie oft hab ich schon      
  Ihre Deutlichkeit gegen die Anklagen der Dunkelheit, wie oft schon      
           
  den accord Ihrer Philosophie mit der Religion gegen die contra      
  sentientes vertheidiget. Es wird, es muß eine Zeit kommen, da Ihre      
  Philosophie populär wird: Iezt freilich noch nicht, da die Tittels,      
  und selbst die Göttinger Recensenten Sie so unglaublich mißverstehen      
  können. Der Schiffer reist mir die Feder aus der Hand, aber ich      
  ersterbe mit der wahrsten Verehrung und Liebe      
           
    als Euer Wohlgebohr.      
    aufrichtigstergebenster      
  Breslau, 28 Merz, 89. Schummel      
    gegenwärtig Prorector bei Elisabet.      
           
           
           
     

[ abgedruckt in : AA XI, Seite 013 ] [ Brief 349 ] [ Brief 351 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ]