Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 289

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Anfang, so wäre eine leere Zeit vor ihr vorhergegangen, welche gleichwohl      
  02 das Entstehen der Welt, mithin das Nichts, was vorherging, zu      
  03 einem Gegenstande möglicher Erfahrung machte, welches sich widerspricht.      
           
  04 II. In Ansehung der intensiven Größe, d.i. des Grades, in welchem      
  05 diese den Raum oder die Zeit erfüllet, zeigt sich folgende Antinomie.      
  06 a) Satz: Die körperlichen Dinge im Raum bestehen aus einfachen Theilen;      
  07 denn, setzet das Gegentheil, so würden die Theile zwar Substanzen seyn,      
  08 wenn aber alle ihre Zusammensetzung als eine bloße Relation aufgehoben      
  09 würde: so würde nichts als der bloße Raum, als das bloße Subject aller      
  10 Relationen, übrig bleiben. Die Körper würden also nicht aus Substanzen      
  11 bestehen, welches der Voraussetzung widerspricht. — b) Gegensatz: Die      
  12 Körper bestehen nicht aus einfachen Theilen.]      
           
  13 Nach den ersteren findet sich eine Antinomie hervor, wir mögen nun      
  14 im Größenbegriff von den Dingen der Welt, im Raume sowohl als der      
  15 Zeit, von den durchgängig bedingt gegebenen Theilen zum unbedingten      
  16 Ganzen in der Zusammensetzung aufsteigen, oder von dem gegebenen      
  17 Ganzen zu den unbedingt gedachten Theilen durch Theilung hinabgehen.      
  18 — Man mag nämlich, was das erstere betrifft, annehmen, die Welt sey      
  19 dem Raume und der verflossenen Zeit nach unendlich, oder, sie sey endlich,      
  20 so verwickelt man sich unvermeidlich in Widersprüche mit sich selbst. Denn,      
  21 ist die Welt, so wie der Raum und die verflossene Zeit, die sie einnimmt,      
  22 als unendliche Größe gegeben, so ist sie eine gegebene Größe, die niemals      
  23 ganz gegeben werden kann, welches sich widerspricht. — Besteht jeder      
  24 Körper, oder jede Zeit, in der Veränderung des Zustandes der Dinge,      
  25 aus einfachen Theilen: so muß, weil Raum sowohl als Zeit ins Unendliche      
  26 theilbar sind (welches die Mathematik beweiset), eine unendliche      
  27 Menge gegeben seyn, die doch ihrem Begriffe nach niemals ganz gegeben      
  28 seyn kann, welches sich gleichfalls widerspricht.      
           
  29 Mit der zweyten Klasse der Ideen, des dynamisch Unbedingten, ist es      
  30 eben so bestellt. Denn so heißt es einerseits: Es ist keine Freyheit, sondern      
  31 alles in der Welt geschieht nach Naturnothwendigkeit. Denn: in der Reihe      
  32 der Wirkungen, in Beziehung auf ihre Ursachen, herrscht durchaus Naturmechanism,      
  33 nämlich daß jede Veränderung durch den vorhergehenden      
  34 Zustand prädeterminirt ist. Andrerseits steht dieser allgemeinen Behauptung      
  35 der Gegensatz entgegen: Einige Begebenheiten müssen als durch      
  36 Freyheit möglich gedacht werden, und sie können nicht alle unter dem      
  37 Gesetze der Naturnothwendigkeit stehen, weil sonst alles nur bedingt      
  38 geschehen, und also in der Reihe der Ursachen nichts Unbedingtes anzutreffen      
           
           
           
     

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