Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 287

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Zeit vorgestellt werden kann, in denen doch die Bedingungen zu dem,      
  02 was uns in jeder Anschauung gegeben ist, gesucht werden müssen, um      
  03 zum Unbedingten zu gelangen.      
           
  04 Der zweyte große Fortschritt, welcher nun der Metaphysik zugemuthet      
  05 wird, ist der, vom Bedingten an Gegenständen möglicher Erfahrung      
  06 zum Unbedingten zu gelangen, und ihre Erkenntniß bis zur Vollendung      
  07 dieser Reihe durch die Vernunft (denn was bis dahin geschehen      
  08 war, geschah durch Verstand und Urtheilskraft) zu erweitern, und das      
  09 Stadium, welches sie itzt zurücklegen soll, wird daher das der transscendentalen      
  10 Kosmologie heißen können, weil Raum und Zeit in ihrer ganzen      
  11 Größe, als Inbegriff aller Bedingungen betrachtet und als die Behälter      
  12 aller verknüpften wirklichen Dinge vorgestellt, und so das Ganze von      
  13 diesen, sofern sie jene ausfüllen, unter dem Begriffe einer Welt vorstellig      
  14 gemacht werden sollen.      
           
  15 Die synthetischen Bedingungen (principia) der Möglichkeit der Dinge,      
  16 d.i. die Bestimmungsgründe derselben (principia essendi), werden hier,      
  17 und zwar in der Totalität der aufsteigenden Eihe, in der sie einander      
  18 untergeordnet sind, zu dem Bedingten (den principiatis) gesucht, um zu      
  19 dem Unbedingten (principium, quod non est principiatum) zu gelangen.      
  20 Das fordert die Vernunft, um ihr selbst genug zu thun. Mit der absteigenden      
  21 Reihe von der Bedingung zum Bedingten hat es keine Noth,      
  22 denn da bedarf es für sie keiner absoluten Totalität, und diese mag als      
  23 Folge immer unvollendet bleiben, weil die Folgen sich von selbst ergeben,      
  24 wenn der oberste Grund, von dem sie abhangen, nur gegeben ist.      
           
  25 Nun findet sich, daß in Raum und Zeit alles bedingt, und das Unbedingte      
  26 in der aufsteigenden Reihe der Bedingungen schlechterdings unerreichbar      
  27 ist. Den Begriff eines absoluten Ganzen von lauter Bedingtem      
  28 sich als unbedingt zu denken, enthält einen Widerspruch; das Unbedingte      
  29 kann also nur als Glie der Reihe betrachtet werden, welches diese als      
  30 Grund begrenzt, der selbst keine Folge aus einem andern Grunde ist,      
  31 und die Unergründlichkeit, welche durch alle Klassen der Kategorien geht,      
  32 so fern sie auf das Verhältniß der Folgen zu ihren Gründen angewandt      
  33 werden, ist das, was die Vernunft mit sich selbst in einen nie beyzulegenden      
  34 Streit verwickelt, solange die Gegenstände in Raum und Zeit für Dinge      
  35 an sich selbst, und nicht für bloße Erscheinungen, genommen werden,      
  36 welches vor der Epoche der reinen Vernunftkritik unvermeidlich war,      
  37 so daß Satz und Gegensatz sich unaufhörlich einander wechselweise vernichteten,      
  38 und die Vernunft in den hoffnunglosesten Scepticism stürzen      
  39 mußten, der darum für die Metaphysik traurig ausfallen mußte, weil,      
           
           
           
     

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