Kant: AA XIX, Erläuterungen zu A. G. Baumgartens ... , Seite 114

     
           
 

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  01 ist bey dem rechten und dauerhaften Vergnügen der Geschlechterneigung      
  02 das liebenswürdige Gemüth die Absicht, die wir uns vorsetzen sollen. Wir      
  03 würden aber dadurch wenig getrieben werden, wenn nicht der reitz des      
  04 Geschlechts iene Vorstellungen begleitete, und wir machen unser Vergnügen      
  05 schmakhafter, wenn wir es unter edleren Absichten verdecken. Die      
  06 Ehre treibt uns in tugendhaften Handlungen; allein man muß sie zu      
  07 fliehen scheinen, um sie zu erhalten.      
           
   

 

6621.   κ--λ? (η?)   Pr X.
 
     
  09 Die Lehre der Tugend schränket nicht so sehr die Vergnügen der      
  10 Sinnlichkeit ein, als daß sie vielmehr lehrt, unter den verschiedenen Arten      
  11 derselben dieienige wählen, welche am meisten Zusammenstimung mit den      
  12 Regeln des allgemeinen Beyfalls haben, welches doch immer die beste allgemeine      
  13 Regel der Klugheit ist. Denn sich darauf zu verlassen, daß man      
  14 ohne Regel sich in iedem Zustand Falle nach dem größesten Gewinn richte,      
  15 ist zu ängstlich und läßt das Gemüth iederzeit in Unruhe. (überdem muß      
  16 das Betragen, was man allgemein Vorschreibt, auch so angenommen      
  17 werden, als wenn die Absicht desselben allgemein bekannt und gebilligt      
  18 werde.) Es giebt aber verschiedene Qvellen der Zufriedenheit, worunter      
  19 wir wahlen können. Kan ich nicht durch allgemein gebilligte Mittel Reichtum      
  20 erwerben, so werde ich das Zutrauen meiner freunde haben; ich werde      
  21 eingeschränkt, aber ohne Bangigkeit der Verantwortung oder frey leben      
  22 können. (s Wissenschaft, Geschiklichkeit, Klugheit, Weisheit, Kentnis, Geschiklichkeit      
  23 etc. etc. Denn Kentnis kan ohne Geschiklichkeit seyn. )      
           
  24 überhaupt scheint uns die Natur wegen aller unsrer handlungen den      
  25 sinnlichen Bedürfnissen zuletzt unterworfen zu haben. Allein es war nöthig,      
  26 daß unser Verstand zugleich allgemeine Regeln entwarf, wie wir nach      
  27 denen wir die Bestrebungen zu unserer Glükseeligkeit zu ordnen, einzuschränken      
  28 und übereinstimig zu machen hätten, damit unsere blinde triebe      
  29 uns nicht auf blosses Glük bald hie, bald dahin trieben. Es ist aber Da      
  30 diese sich gewohnlicher Maassen wiederstreiten, so war ein Urtheil nöthig,      
  31 welches in Ansehung ihrer aller unpartheiisch und also abgesondert von      
  32 aller Neigung blos durch den reinen Willen die Regeln entwarf, die, vor      
  33 alle Handlungen und vor alle Menschen gültig, die grösseste Harmonie      
     

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