Kant: AA XVII, Reflexionen zur Metaphysik. , Seite 245

     
           
 

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  01 er sich bewust ist, daß er nicht urtheilen könne. Es ist auch diese Ungewishei      
  02 Unwißenheit gewißer gegebenen Stücke nicht einmal alsden ein      
  03 Grund der Möglichkeit zu irren an sich selber, wenn der Mensch dieser      
  04 Unbestimtheit so gar sich nicht bewust ist; denn so lange kein Grund ist,      
  05 der ihn veranlaßt zu urtheilen so in einer Sache, wozu er nicht genug      
  06 weiß, so ist er vor allem Urtheil verwahrt. Daher der gemeine Mann vor      
  07 vielen Irrthümern verwahrt ist; denn, da er in ansehung der mehresten      
  08 Dinge, darnach die Gelehrten so eifrig bestrebt seyn, unbekümmert ist,      
  09 wenn er gleich die Fragen hört, die man aufwirft, und die mehresten      
  10 Fragen ihm niemals in die Gedanken kommen, so ist nichts, was ihn veranlaßen      
  11 solte zu Urtheilen. S. III: Demnach sieht man, daß die Ungewisheit      
  12 im subjektivischen Verstande (g noch ) einen Gewißen Grund (ist), urtheile      
  13 zu fällen, voraussetzt. Wenn hiezu die ungewisheit im Objectiven      
  14 Verstande, deren man sich aber nicht bewust ist, hinzukömt.      
           
  15 Daher bei allem Triebe, ein Urtheil zu fällen, wenn das Bewustseyn      
  16 der Objektivischen Ungewisheit dazu komt, ist der Irrthum unmoglich,      
  17 wie man in der Geometrie ersehen kann. Je großer die Begierde zu urtheilen      
  18 oder die Gewohnheit zu urtheilen ist. Wir haben nur die objective      
  19 Ungewisheit, in soferne sie mit den subjectivischen innern Gründen zu urtheilen      
  20 zusammengenommen werden, angeführt, um die subjectivische      
  21 Möglichkeit zu irren begreiflich zu machen. Allein wenn diese Begierde      
  22 auch einerley ist, so ist sind gleichwohl die Unterscheidungsgründe des      
  23 wahren vom falschen entweder verborgen und verhältnisweise gegen die      
  24 übereinstimmungen, die eine falsche erkentniß mit einer Wahren hat, klein      
  25 oder nicht. (Da wir aus der analogie schließen, so konnen viel übereinstimmungen      
  26 ein grund der Irrthümer seyn, z.E. vernunft der Thiere).      
  27 In dem Falle, da man viel, aber nicht alle UnterscheidungsGründe hat,      
  28 ist der Irrthum nur möglich durch eine Unwißenheit der Unbestimtheit      
  29 der Erkentniß aus diesen Gründen und der Neigung zu urtheilen.      
           
  30 Die Gewisheit muß im philosophischen erkentniß eben so wohl moglich      
  31 seyn als im Mathematischen und, was den Grad anlangt zur überzeugung,      
  32 dazu gnugsam seyn. Man kann nicht sagen, daß eine gewißheit großer      
     

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