Kant: AA XII, Briefwechsel 1799 , Seite 289 |
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847. | |||||||
02 | Von Iohann Heinrich Immanuel Lehmann. | ||||||
03 | 13. Nov. 1799. | ||||||
04 | Wohlgebohrner, Hochgelahrter Herr, | ||||||
05 | Höchstzuverehrender Herr Professor, | ||||||
06 | Mein mir ewig theurer Gönner! | ||||||
07 | Ihre gütige Zuschrift vom 2ten September durch den Herrn Meyer | ||||||
08 | habe ich richtig, obgleich erst spät im October, erhalten. Mit wahrer | ||||||
09 | Freude ersehe ich aus selbiger, daß Ew. Wohlgebohrnen sich noch meiner | ||||||
10 | erinnern und daß Sie meine vorigen Briefe erhalten haben. Was | ||||||
11 | mich aber sehr traurig macht, ist die Beschwerde, welche Ew. Wohlgebohrn | ||||||
12 | einfließen lassen, über eine spastische Kopf=Bedrückung Ihrer. | ||||||
13 | Nerven; theils des äußerst unangenehmen Zustandes wegen in Ihren | ||||||
14 | Iahren; theils aber auch weil Sie dadurch sehr gehindert werden, den | ||||||
15 | Plan Ihrer Philosophie zu vollenden und Ihrem System den Kranz | ||||||
16 | aufzusetzen. Es sind hier mehrere die mit Ihnen in diesem abgewichenen | ||||||
17 | Iahre über eine Spannung der Nerven sich beklagen und die | ||||||
18 | solches ebenfals einer besonderen Electricität der Luft zuschreiben Sollte | ||||||
19 | diese Erscheinung in der Sonne ihren Grund haben? Von welcher | ||||||
20 | Herschel sagt, daß sie in diesem Frühling und Sommer ohne alle Flecken | ||||||
21 | von ihm gesehen worden. Vieleicht ließ sich auch daraus das viele | ||||||
22 | Blutspeyen erklären, welches in dieser Gegend umher diesen Sommer | ||||||
23 | statt gefunden hat. Genug daß in der Athmosphäre eine große Veränderung | ||||||
24 | vorgefallen seyn muß; denn nie habe ich ein Iahr mit so | ||||||
25 | abwechselnder Witterung verlebt, wie das vergangene. Im Winter die | ||||||
26 | unerträgliche Kälte und abwechselnd fürchterliche Gewitter, im Frühling | ||||||
27 | Sommer so viel Regen, daß der Acker so wenig bearbeitet als | ||||||
28 | die Früchte und das Heu geerndtet werden konnten. Den 24ten Iuni | ||||||
29 | und den 7ten September fror es hier so stark, daß das Eis die Dicke | ||||||
30 | eines Thalers hatte und daß fast alle Gemüse erfroren. Seit Menschen | ||||||
31 | Gedenken weiß man sich hier nicht ein solches Iahr zu erinnern. | ||||||
32 | So schlecht indeß die Witterung in diesem Sommer war: so ist | ||||||
33 | doch das Wachsthum des Getreides und der Lebensmittel und mithin | ||||||
34 | der Einschnit an sich sehr gut gewesen. Nur verdarben die Früchte | ||||||
35 | auf dem Felde und selbst am Ende Octobers, was Ihnen unglaublich | ||||||
36 | scheinen wird, war hier noch Hafer und Gerste auf den Feldern. Die | ||||||
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