Kant: AA XI, Briefwechsel 1794 , Seite 524 |
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| 01 | Gewandheit, die ich allererst in dieser Arbeit in einigem Grade erlangt | ||||||
| 02 | habe, mir schon vor derselben beschert gewesen wäre; so würde ich derselben | ||||||
| 03 | mehr Vollkommenheit gegeben und sie dem etwas viel versprechenden | ||||||
| 04 | Titel eines erläuternden Auszuges, entsprechender gemacht haben. | ||||||
| 05 | Während dieses ganzen Geschäftes habe ich meinen Blick auf das | ||||||
| 06 | eigentliche Transcendentale unserer Erkenntniß, immer wieder zurückgewandt | ||||||
| 07 | und diesen Punct so scharf zu fassen gesucht, als ich nur | ||||||
| 08 | immer konnte. Hierdurch bin ich inne geworden, daß die Möglichkeit | ||||||
| 09 | der Erfahrung, sofern dieselbe den wahren transcendentalen Standpunct | ||||||
| 10 | selbst ausmacht, ganz was Anderes ist, als diejenige bloß abgeleitete, | ||||||
| 11 | discursive Vorstellung der Möglichkeit der Erfahrung, die ein bloßes, | ||||||
| 12 | und grossentheils unverständliches Hypothesenspiel ist, das zu tausend | ||||||
| 13 | Fragen Anlaß giebt. Mit Ihrer Critik, Fürtreflicher Mann, ist es | ||||||
| 14 | fast so bewandt, wie mit der Astronomie, insbesondere der physischen. | ||||||
| 15 | Man wird so oft darin hin und hergeworfen, daß man lange Zeit | ||||||
| 16 | nicht weiß, woran man ist. Allererst wenn man den eigentlichen | ||||||
| 17 | Standpunct der Transcendentalphilosophie erreicht hat, und so den Geist | ||||||
| 18 | Ihrer synthetischen objectiven Einheit des Bewußtseyns in seine Denkart | ||||||
| 19 | gleichsam übertragen, und sich in die Handlungsweise der ursprünglichen | ||||||
| 20 | Beylegung (der Synth)esis nach den Categorien) und der ursprünglichen | ||||||
| 21 | Anerkennung (des transcendentalen Schematismus) gewissermassen | ||||||
| 22 | versetzt hat, ist man im Stande, die Critik von ihrem Anfange | ||||||
| 23 | bis zu ihrem Ausgange zu fassen und sie zu übersehen, und sonach ist | ||||||
| 24 | man wahrhaftig erst im Stande, so simpel es auch sehr vielen scheinen | ||||||
| 25 | mag, zu wissen was ein Erkenntniß a priori und a posteriori heisse. | ||||||
| 26 | In dem Briefe den Ihnen Hartknoch wird überbracht haben, schrieb | ||||||
| 27 | ich Ihnen daß ich an einer Schrift arbeite, in der ich diesen transcendentalen | ||||||
| 28 | Standpunct etwas hervorheben will. Da habe ich nun folgende | ||||||
| 29 | Gegeneinanderstellung im Kopfe. Ich will zeigen, wie nicht | ||||||
| 30 | allein alle Mißverständnisse der Critik, sondern auch alle Verirrungen | ||||||
| 31 | der Vernunft, überhaupt ihre Quelle darin haben, daß man eine Verbindung | ||||||
| 32 | zwischen der Vorstellung und ihrem Gegenstande annimmt, | ||||||
| 33 | die selbst Nichts ist, und nachdem ich nun diese vermeyntliche Erkenntniß | ||||||
| 34 | der Dinge an sich in ihrer ganzen Leerheit, werde dargestellt, und | ||||||
| 35 | ganz besonders, obzwar mit aller Bescheidenheit werde gezeigt haben, | ||||||
| 36 | daß die meisten Ausleger der Critik, ob sie gleich dieselbe unterschreiben, | ||||||
| 37 | sich dieses Vorurtheils noch gar nicht entschlagen haben, und indem sie | ||||||
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