Kant: AA XI, Briefwechsel 1794 , Seite 517

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Und nun, theuerster Freund, wünsche ich Ihnen ein Glück des      
  02 Lebens, dessen Ihre ruhm= und liebenswürdige Denkungsart so sehr      
  03 würdig ist; empfehle mich Ihrem ferneren Wohlwollen, und bin mit      
  04 der größten Hochachtung      
           
  05 Königberg, d. 16. Iul. 1794. der Ihrige      
  06   Kant.      
           
           
    636.      
  08 Von Friedrich August Nitsch.      
           
  09 London, den 25ten Jul. 94      
           
  10 Wohlgeborner Herr,      
  11 Hochgeehrtester Herr Professor!      
           
  12 Ich bin so glücklich eine gute Gelegenheit ausgefunden zu haben,      
  13 die mich in den Stand jetzt an meine Freunde und Wohlthäter in      
  14 Königsberg zu schreiben, ohne den kostbaren Weg der Post von London      
  15 aus einschlagen zu dürfen. Und da ich nun eine solche gute Gelegenheit      
  16 habe; so würde ich es mir nie verzeihen können, wenn ich sie      
  17 vorbey gehen ließe, ohne an Dieselben zu schreiben. Dieselben sind      
  18 mein Lehrer gewesen, haben mir einen freuen Zutritt zu Dero Vorlesungen      
  19 gegeben, haben meinem Kopf aufgehellt, haben meine Grundsätze      
  20 und mein Herz verbessert und veredelt, haben mich empfohlen und      
  21 das nicht allein in Königsberg, sondern auch in Berlin. Ich habe      
  22 alle diese Puncte häufig überdacht, und finde, daß, wenn ich etwas      
  23 Gutes an mir habe, wenn meine Einsichten in Sachen der Pflicht      
  24 richtig sind, wenn ich jetzt, auf dem vorher wüsten und trostlosen Felde      
  25 der speckulativen Vernunft, mit Sicherheit gehen und andere mit      
  26 Sicherheit durchführen kan, und wenn ich etwas Gutes in der Welt      
  27 gestiftet habe, oder stiften werde, ich es lediglich Dero Unterricht, Beyspiel      
  28 und so wohlthätigen Gesinnungen gegen mich zu verdanken habe.      
  29 Ich habe alles dieses bedacht, und sollte nicht schreiben? - sollte nicht      
  30 einige Merkmale der Dankbarkeit blicken lassen und zwar gegen einen      
  31 Mann, den Iahrtausende ehren werden und ehren müssen, und der      
  32 mein Lehrer, mein Freund und mein Wohlthäter war. Gott, ich wäre      
  33 ein Bösewicht im Fall ich so etwas unterlassen könnte; ich wäre ein      
  34 gedankenloser Mensch, wenn ich mich nicht täglich darüber freuen sollte,      
           
     

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