Kant: AA XI, Briefwechsel 1793 , Seite 475 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | keinen Ausweg vor mir sähe und ohne höhere Einsicht in | ||||||
| 02 | ein Labyrinth zu gerathen befürchten müßte! Durch die Abwesenheit, | ||||||
| 03 | sagt Cicero, lernen wir den Werth dessen was uns theuer und schätzbar | ||||||
| 04 | ist erst recht schmerzhaft empfinden. Die Lage in welcher ich bin, seitdem | ||||||
| 05 | ich Königsberg verlassen habe, hat mich von dieser Wahrheit vollkommen | ||||||
| 06 | überführt, da ich mich ausser Stand gesetzt sehe, an den | ||||||
| 07 | mündlichen Vorträgen des großen Lehrers und meines unvergeßlichen | ||||||
| 08 | Wohlthäters Antheil nehmen zu können, dessen unsterbliche Werke | ||||||
| 09 | Europa in Erstaunen setzen und die Bewunderung und Ehrfurcht aller | ||||||
| 10 | denkenden Köpfe in den entferntesten Norden, wie hier an den Ufern | ||||||
| 11 | der Spree erzwingen. Ich bin in Petersburg und in andern nördlichen | ||||||
| 12 | Provinzen Europa's gewesen und bin dadurch ein Zeuge von der gerechten | ||||||
| 13 | Achtung geworden, von welcher sich jeder denkende Geist bey | ||||||
| 14 | dero Nahmen durchdrungen fühlt; und nur die Furcht diesen Zeilen | ||||||
| 15 | den Anschein der Schmeicheley zu geben, die vor der Weisheit flieht | ||||||
| 16 | untersagt es mir hier einen Gebrauch von dem zu machen, weßen mich | ||||||
| 17 | die Erfahrung belehrt hat. Dieses alles aber überzeugt mich wie groß | ||||||
| 18 | der Verlust ist, den ich seit meiner Abreise erlitten habe und wie unaussprechlich | ||||||
| 19 | meine Freude seyn wird, wenn ich erfahre, daß Ew. | ||||||
| 20 | Wohlgebohrnen mir noch Dero fernere Gewogenheit in dieser Rücksicht | ||||||
| 21 | schenken wollen. | ||||||
| 22 | Die Art mit welcher Ew. Wohlgebohrnen sich einst meiner so | ||||||
| 23 | großmüthig annahmen, flößt mir Muth ein, mich noch in einer andern | ||||||
| 24 | Absicht an Sie wenden zu dürfen. Es ist hier eine Stelle am Cadettenhofe | ||||||
| 25 | offen. Herr General v. Mosch, wie auch H. Oberstl[ieutenant] | ||||||
| 26 | v. Wulfen, die ersten Vorgesetzten bey demselben, halten ungemein viel | ||||||
| 27 | auf das Zeugniß des H. Professors. Und H. Pr[ofessor] Fischer, dem das | ||||||
| 28 | Examen übertragen, eben der, dessen Arbeiten Herr Professor wahrscheinlich | ||||||
| 29 | unter Händen haben, bietet mir dazu seine hülfreiche Hand | ||||||
| 30 | dar. Dürfte ich daher wohl so frey seyn und Ew. Wohlgebohrnen bitten | ||||||
| 31 | in einem Briefe an H. Pr. Fischer ehestens ein Zeugniß von mir und | ||||||
| 32 | besonders von meiner Führung auf der Academie und meinem moralischen | ||||||
| 33 | Character mit einfließen zu lassen. Die Gesetze der Bescheidenheit | ||||||
| 34 | untersagen es mir hierin ein Urtheil über mich selbst zu fällen; da | ||||||
| 35 | aber H. Diacon. Kraft, H. Oberconsistorialr. Anders, wie auch H. Hof | ||||||
| 36 | und Oberhofpr. Schultz, meine Verhältnisse und Umstände etwas genauer | ||||||
| 37 | kennen, besonders die beyden ersten; so glaube ich, daß diese Männer | ||||||
| [ Seite 474 ] [ Seite 476 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||