Kant: AA XI, Briefwechsel 1793 , Seite 437 |
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| 01 | sind. Ich glaube überhaupt, daß sich über die ersten Grundsätze der | ||||||
| 02 | französischen Republik und über die Vernunftmäßigkeit derselben sehr | ||||||
| 03 | viel interessantes sagen ließe, wenn es rathsam wäre darüber zu | ||||||
| 04 | schreiben. Auch hier ist dieser Gegenstand der einzige Vorwurf aller | ||||||
| 05 | Unterhaltung, der einzige Grund aller Streitigkeiten, die aber am Ende | ||||||
| 06 | leider immer darauf hinauslaufen, daß man entweder die Sache selbst | ||||||
| 07 | mit ihren jetzigen Repräsentanten verwechselt, oder die Richtigkeit von | ||||||
| 08 | Ideen durch Erfahrung beweisen oder widerlegen will, oder unmögliche | ||||||
| 09 | Dinge fordert. | ||||||
| 10 | Meine Lage hat sich im Ganzen nicht viel geändert, ich habe | ||||||
| 11 | jetzt als Lehrer der königlichen Kinder jährlich 600 rthlr., wofür ich aber | ||||||
| 12 | wöchentlich 15 Stunden Unterricht geben muß. Als Professor habe | ||||||
| 13 | ich bis jetzt noch kein Gehalt, aber die Verpflichtung jährlich einmal | ||||||
| 14 | Logik publice zu lesen; doch hat mir der König versprochen, so bald | ||||||
| 15 | es angeht mir Gehalt zu geben. Sonst hatte ich noch als Charge | ||||||
| 16 | d'affaires bei der Prinzessin Auguste 400 rthlr. jährlich, aber die | ||||||
| 17 | Stelle ist eingezogen und mir auch blos Entschädigung versprochen. | ||||||
| 18 | So lange der Krieg dauert ist freilich wenig Hofnung dazu da, allein | ||||||
| 19 | ich weiß aus einer ziemlich sichern Quelle, daß der König jetzt geneigt | ||||||
| 20 | ist noch vor Ausgang des Iahres Frieden zu machen. | ||||||
| 21 | Die Herren Prof. Iakob und Fischer haben sich mit mir vereinigt | ||||||
| 22 | eine philosophische Bibliothek herauszugeben, die Auszüge aus den in | ||||||
| 23 | jeder Messe erschienenen besten philosophischen Schriften enthalten soll, | ||||||
| 24 | sie sollen nicht kritisch sein, sondern die Leser blos in den Stand setzen | ||||||
| 25 | den Gang der Ideen der Verfasser leichter zu übersehen und das was | ||||||
| 26 | jeder neues gesagt hat eher zu fassen; sie soll also nicht sowohl dazu | ||||||
| 27 | dienen auf die wichtigen philosophischen Schriften aufmerksam zu | ||||||
| 28 | machen, als vielmehr nach Lesung derselben nützen. - Die von mir | ||||||
| 29 | im Meßkatalogus angekündigte Schrift ist wegen meiner Krankheit | ||||||
| 30 | nicht fertig geworden, und jetzt zweifle ich sehr, daß sie erscheinen wird. | ||||||
| 31 | Ich bitte Sie herzlich um die Fortdauer Ihrer gütigen Gesinnungen | ||||||
| 32 | gegen mich, und werde gewiß nie aufhören mit der innigsten Werthschätzung | ||||||
| 33 | zu sein | ||||||
| 34 | Ihr | ||||||
| 35 | Berlin den 15 ten Iuni 1793. | dankbarer Schüler | |||||
| 36 | I. G. C. Kiesewetter | ||||||
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