Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 239 |
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Text (Kant):
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| 01 | violette Farbe lieblich, dem andern erstorben. Einer liebt den Ton | ||||||
| 02 | der Blasinstrumente, der andere den von Saiteninstrumenten. - Mit | ||||||
| 03 | dem Schönen ist es anders bewandt. - Das Gebäude, was wir sehen, | ||||||
| 04 | das Concert, was wir hören, ist schön, also nicht für einen, sondern | ||||||
| 05 | für alle. Hieher gehört auch, was Sie S. 39 erklären, wo Sie von | ||||||
| 06 | einem reinen Geschmacksurtheile allen Antheil eines Reitzes ausschliessen, | ||||||
| 07 | und dagegen wieder eine Instanz einwerfen, wornach der Reitz für | ||||||
| 08 | sich zur Schönheit hinreichend scheinen möchte. Die grüne Farbe des | ||||||
| 09 | Rasenplatzes, der blosse Ton einer Violin, zum Unterschiede von (gleichgültigem) | ||||||
| 10 | Schalle und Geräusche, wird von den meisten an sich für | ||||||
| 11 | schön erklärt, ob zwar beyde lediglich Empfindung zum Grunde zu | ||||||
| 12 | haben scheinen, und darum nur angenehm genannt zu werden verdienten. | ||||||
| 13 | Allein man wird sie doch nur sofern schön finden, als beyde | ||||||
| 14 | rein sind. Vollkommene Reinigkeit ist nemlich hier ausser den objectiv | ||||||
| 15 | genau bestimmbaren, aber subjectiv unzuverlässigen Graden der Reinigkeit | ||||||
| 16 | der einzige subjectiv sichere Grad, und hat dadurch denjenigen Character | ||||||
| 17 | der Schönheit, der auf subjectiv sichere Schätzung Anspruch macht. | ||||||
| 18 | Ihre Antwort, womit Sie die Einwendung abfertigen, beruht also | ||||||
| 19 | auch auf derselben von mir bemerkten Mischbarkeit, die den gemeinschaftlichen | ||||||
| 20 | Charakter der Farben und der Klänge ausmacht. | ||||||
| 21 | Hiemit beschliesse ich diese Untersuchung, und bitte zugleich um | ||||||
| 22 | Gedult für die Verlängerung des Schreibens über einige Stücke, die | ||||||
| 23 | ich gerne zugleich anbringen möchte. | ||||||
| 24 | Zu der Stelle S. 16 Ihres angeführten Werks, wo Sie von dem | ||||||
| 25 | Geschmacke alles Interesse absondern, kann ich Ihnen ein merkwürdiges | ||||||
| 26 | Beyspiel anführen, von einem ehmaligen hiesigen Küchenmeister, | ||||||
| 27 | ein Philosoph, der hiesige Herr Iustitzrath Trede, das Zeugniß giebt, | ||||||
| 28 | daß er über den Sinn des Geschmacks sehr richtig philosophirt habe; | ||||||
| 29 | derselbe Mann pflegte über gewisse kunstmäßige Tafelgerichte das Urtheil | ||||||
| 30 | zu fällen: sie schmecken gut, aber mir nicht angenehm. | ||||||
| 31 | Folgende Nachricht kann dem Herzen des Mannes der die Grundlegung | ||||||
| 32 | zu Metaphysik der Sitten und die Critik der practischen Vernunft | ||||||
| 33 | geschrieben hat, nicht gleichgültig seyn. Der hiesige Conrector | ||||||
| 34 | an der lateinischen Schule Herr Boie, ein Bruder des Herausgebers | ||||||
| 35 | vom deutschen Museum, und Schwager des hiesigen Rectors Herrn | ||||||
| 36 | Hofraths Voß, studirt Ihre Schriften, besonders die ebengenannten, | ||||||
| 37 | und nahm Gelegenheit von dem, was er Ihnen verdankt, in einer | ||||||
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