Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 207

     
           
 

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    448.      
  02 An August Wilhelm Rehberg.      
           
  03 Vor d. 25. Sept. 1790.      
           
  04 Die Aufgabe ist: Warum kan der Verstand, der Zahlen willkührlich      
  05 hervorbringt keine √ 2 in Zahlen denken? Denn, wenn er sie      
  06 denkt, so muß er sie, wie es scheint, auch machen können; indem die      
  07 Zahlen reine Actus seiner Spontaneität sind und die synthetische Sätze      
  08 der Arithm. und Algebra können ihn durch die Bedingungen der Anschauung      
  09 in Raum und Zeit nicht einschränken. Es scheint also: man      
  10 müsse ein transscendentales Vermögen der Einbildungskraft, nämlich      
  11 ein solches, welches in der Vorstellung der objecte, unabhängig selbst      
  12 von Raum und Zeit, blos dem Verstande zu Folge Vorstellungen      
  13 synthetisch verbände, und von dem ein besonderes System der Algebra      
  14 abgeleitet werden könnte, annehmen, dessen nähere Kentnis (wenn sie      
  15 möglich wäre) die Methode der Auflösung der Gleichungen zu ihrer      
  16 größten Allgemeinheit erheben würde.      
           
  17 So verstehe ich nämlich die an mich geschehene Anfrage.      
  18 Versuch einer Beantwortung Derselben      
           
  19 1) Ich kan jede Zahl als das Product aus zwey Factoren ansehen,      
  20 wenn diese mir gleich nicht gegeben sind und auch nie in Zahlen      
  21 gegeben werden können. Denn es sey die gegebene Zahl = 15 so      
  22 kan ich den einen Factor daraus sie entspringt = 3 annehmen und      
  23 der andere ist alsdann = 5, mithin 3 x 5 = 15. Oder der gegebene      
  24 Factor sey = 2; so würde der gesuchte andere Factor 15/2 seyn. Oder      
  25 der erstere sey ein Bruch = 1/7 so ist der andere Factor 105/7 u.s.w.      
  26 Also ist es möglich zu jeder Zahl als Product wenn ein Factor gegeben      
  27 ist den anderen zu finden      
           
  28 2) Wenn aber keiner der beyden Factoren sondern nur ein Verhältnis      
  29 derselben, z. B. daß sie gleich seyn sollten, gegeben ist, so, da      
  30 das gegebene Factum = a, der gesuchte Factor = x ist, so ist die      
  31 Aeqvation 1 : x = x : a d. i. er ist die mittlere geometrische Proportionalzahl      
  32 zwischen 1 und a und, da diesem gemäß a = x², so ist      
  33 √ x = √a d.i. die Qvadratwurzel aus einer gegebenen Größe z. B.      
           
     

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