Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 174

     
           
 

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    430.      
  02 Von Salomon Maimon.      
           
  03 15. Mai 1790.      
           
  04 Wohlgeborner Herr      
  05 Insonders hochzuehrender Herr Professor      
  06 Für das mir gütigst übersandte Geschenk Ihrer Schrift, der Kritik      
  07 der Urtheilskraft, woraus ich Ew Wohlgeborn freundschaftliche Gesinnung      
  08 gegen mich ersehe, welche mir sehr theuer ist, und worauf      
  09 ich stolz zu seyn Ursache habe, sage ich Ihnen den allerverbindlichsten      
  10 Dank. Ich habe zwar noch nicht Zeit gehabt, dieses wichtige Werk      
  11 durchzulesen, oder wie dies erforderlich ist, durchzudenken, sondern      
  12 es erst blos durchblättern können. Gleichwol aber bin ich durch      
  13 den Beyfall, welchen Sie dem H[of] R[ath] Blumenbach ertheilen, veranlaßt      
  14 worden, deßen vortrefliche kleine Schrift zu lesen: und hiedurch      
  15 ist bey mir ein Gedanke rege gemacht worden, der, wiewol er      
  16 nicht neu ist, doch paradox genug scheinen mag, nähmlich die Realität      
  17 der Weltseele bestimmen zu wollen, wovon ich mich erdreuste Ew Wohlgeborn      
  18 den Plan zur Prüfung vorzulegen. Ich kann zwar nicht ganz      
  19 genau bestimmen, was die Alten hiemit für einen Begriff verknüpften;      
  20 ob sie darunter Gott selbst, oder etwas was außer demselben ist, verstanden.      
  21 Demohngeachtet denke ich mir diesen Begriff folgendermaßen:      
  22 Die Weltseele ist eine der Materie überhaupt (dem Stoff aller reellen      
  23 Objecte) beywohnende und auf dieselbe würkende Kraft, deren Würkung      
  24 nach der verschiednen Modificierung der Materie verschieden ist. Sie      
  25 ist der Grund der besondern Art der Zusammensetzung in jedem (auch      
  26 unorganisirten), der Organisation in jedem organisirten Körper, des      
  27 Lebens im Thier, des Verstandes und der Vernunft im Menschen      
  28 usw; kurz sie gibt die Formen aller Dinge nach Beschaffenheit ihrer      
  29 Materie, so daß sie durch die eine Form die Materie zur Annehmung      
  30 einer andern Form von einer höhern Ordnung, geschickt macht. Und      
  31 da die Materie unendliche Modification annehmen kann, so kann diese      
  32 Entelechie auch unendlich verschiedne Formen liefern. Sie ist also der      
  33 Grund aller möglichen Würksamkeit.      
           
  34 Ich sehe nicht ein, was die neuern Philosophen habe bewegen können,      
  35 diese Meinung gänzlich zu verwerfen. Sollte es deßhalb geschehen seyn,      
  36 weil man von dieser Weltseele, als Objekt keinen Begriff hat? Wir haben      
           
     

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