Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 064 |
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Text (Kant):
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| 01 | Grundsätzen gegen ihn zu argumentiren, und ihn zuletzt auf die ächte | ||||||
| 02 | Theorie der praktischen Philosophie zuleiten. | ||||||
| 03 | Die von Ihnen S. 98 bemerkte Stelle konnte ganz wegbleiben. | ||||||
| 04 | Sie sollte nur dazu dienen, den Streit von einer Seite abzuziehen, | ||||||
| 05 | wo auf keiner Seite ein Vortheil erfochten werden kann. Die Moral | ||||||
| 06 | ist keine Lotterie, wobey man gewisses Vergnügen gegen Hoffnung ungewissen | ||||||
| 07 | Gewinnes aufopfern müßte. | ||||||
| 08 | Da die Richtigkeit Ihres Moral= Systems gleich bey dem ersten | ||||||
| 09 | Anblick so in die Augen springt, weil es dem moralischen Gefühle und | ||||||
| 10 | der biblischen Sittenlehre so angemessen ist, so kann ich mich nicht genug | ||||||
| 11 | wundern, daß es den allgemeinen Beyfall, den man erwarten | ||||||
| 12 | sollte, noch nicht erhalten hat. | ||||||
| 13 | Nach Ihrem System ist die Regel schicklich: | ||||||
| 14 | Liebe das Ideal alles Guten über alles, und deinen Nebenmenschen | ||||||
| 15 | wie dich selbst | ||||||
| 16 | Aber die Glückseeligkeitslehrer können nicht anders sagen, als: | ||||||
| 17 | Liebe dich selbst über alles und Gott und deine Nebenmenschen | ||||||
| 18 | so weit, als sie die Ehre haben, dir zu dienen. | ||||||
| 19 | Es freuet mich außerordentlich, daß mein Grundsatz des Naturrechts | ||||||
| 20 | auch der Ihrige ist. Daß wir auf verschiedenen Wegen zu demselben | ||||||
| 21 | gelangt sind, zeugt von seiner Richtigkeit | ||||||
| 22 | Und nun erlauben Sie mir noch eine Frage. Werden Sie in | ||||||
| 23 | Ihrem nächsten Werke über die praktische Philosophie sich auf die | ||||||
| 24 | Frage einlaßen: Welche Grenzen der Willkühr des Gesetzgebers (die | ||||||
| 25 | Regeln der Klugheit abgerechnet) gesetzt sind? Dieß ist ein Thema, | ||||||
| 26 | worüber ich längst nachgedacht habe, welches ich aber, ehe ich es dem | ||||||
| 27 | Publico ausführlich vorlege, von Ihnen behandelt sehen möchte. | ||||||
| 28 | Auch darüber wünsche ich Ihre Belehrung: ob es für mich zuträglich | ||||||
| 29 | seyn möchte, das ausführliche Studium Ihres Systems, welches | ||||||
| 30 | diesen Sommer erfolgen soll, mit Herrn Iacobs Schriften oder mit | ||||||
| 31 | Ihrer Kritik etc. zu eröffnen? Hierbey muß ich jedoch bemerken, daß es | ||||||
| 32 | mir nicht so wohl an Liebe zum strengen wissenschaftlichen Vortrage, | ||||||
| 33 | und der dazu erforderlichen Geduld, als vielmehr an Zeit mangle, und | ||||||
| 34 | ich also auch die Zeit, wo meine Kräfte schon durch andre Arbeiten | ||||||
| 35 | erschöpft sind, zu Hülfe nehmen müße. | ||||||
| 36 | H. G[arve] klagt in seiner Antwort auf mein gedruktes Schreiben sehr | ||||||
| 37 | über Kraftlosigkeit, und es ist wenigstens so bald noch nicht zu erwarten, | ||||||
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