Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 015

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 der Gedanke an dieser Unfähigkeit trügt manche Stunde      
  02 meines Lebens.      
           
  03 Herr Salomon Maymon, ehedem einer der rohesten polnischen Iuden,      
  04 hat sich seit einigen Iahren durch sein Genie, seinen Scharfsin und      
  05 Fleiß auf eine außerordentliche Weise in fast alle höhere Wissenschafften      
  06 hineingearbeitet, und vorzüglich in den letzten Zeiten Ihre Philosophie      
  07 oder wenigstens Ihre Art zu philosophiren so eigen gemacht, daß ich      
  08 mit Zuverläßigkeit mir zu behaupten getraue, daß er einer von den      
  09 sehr sehr wenigen von den jezigen Bewohnern der Erde ist, die Sie      
  10 so ganz verstanden und gefaßt. Er lebt hier sehr kümerlich, unterstüzt      
  11 von einigen Freunden, ganz der Spekulation. Er ist auch mein      
  12 Freund, und ich liebe und schätze ihn ungemein. Es geschah auf      
  13 meine Veranlassung, daß er diese Aufsätze die er zum Druck bestimmt,      
  14 vorher Ihnen zur Durchsicht überschickt. Ich nahm es über mich Sie      
  15 zu bitten, die Schrift anzusehen, ihm Ihre Meynung darüber mitzutheilen,      
  16 und wenn Sie sie des Druckes würdig finden, in einigen      
  17 Zeilen es der Welt zu sagen. Ich kenne die Dreistheit dieser Bitte      
  18 in ihrem ganzen Umfange: aber Gottlob ich kenne auch den Mann      
  19 den ich bitte.      
           
  20 Wie leben Sie verehrungswürdiger Mann? wie steht es mit      
  21 Ihrer Gesundheit? Strengen Sie auch in Ihrem Alter Ihre Kräfte      
  22 nicht zu sehr an? Gott wenn ich doch in diesem Leben des Glückes      
  23 noch einmal theilhaft werden könnte, diese und noch unzählige andere      
  24 Fragen mündlich von Ihnen beantwortet zu hören. Ich verharre      
  25 Meines unvergesslichen Lehrers      
           
  26 Berlin den 7 t April ganz ergebenster Diener      
  27 1789. Marcus Herz      
           
           
    352.      
  29 Von Salomon Maimon.      
           
  30 7. April 1789.      
           
  31 Verehrungswürdiger Mann!      
  32 Durchdrungen von der Ehrfurcht, die man einem Manne schuldig      
  33 ist, der die Philosophie u. vermittelst derselben, jede andre Wißenschaft,      
  34 reformirt hat; war es einzig, Liebe zur Wahrheit, durch die ich dreist      
  35 gnug haben werden können, mich Ihnen zu nähern. - Schon durch      
  36 Geburth bestimmt, die besten Iahre meines Lebens in den litthauischen      
           
     

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