Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 384

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ließe, so würde natürlicherweise entweder ein jeder Andere ihn fliehen, oder      
  02 sich mit Anderen vereinigen, um seinen Anmaßungen zu widerstehen,      
  03 welches beweiset, daß Politik mit aller ihrer Schlauigkeit auf diesen Fu      
  04 (der Offenheit) ihren Zweck selber vereiteln, mithin jene Maxime unrecht      
  05 sein müsse.      
           
  06 b) "Wenn eine bis zur furchtbaren Größe ( potentia tremenda ) angewachsene      
  07 benachbarte Macht Besorgniß erregt: kann man annehmen,      
  08 sie werde, weil sie kann, auch unterdrücken wollen, und giebt das den      
  09 mindermächtigen ein Recht zum (vereinigten) Angriffe derselben, auch ohne      
  10 vorhergegangene Beleidigung?" - Ein Staat, der seine Maxime hier bejahend      
  11 verlautbaren wollte, würde das Übel nur noch gewisser und      
  12 schneller herbeiführen. Denn die größere Macht würde den kleineren zuvorkommen,      
  13 und was die Vereinigung der letzteren betrifft, so ist das nur      
  14 ein schwacher Rohrstab gegen den, der das divide et impera zu benutzen      
  15 weiß. - Diese Maxime der Staatsklugheit, öffentlich erklärt, vereitelt      
  16 also nothwendig ihre eigene Absicht und ist folglich ungerecht.      
           
  17 c) "Wenn ein kleinerer Staat durch seine Lage den Zusammenhang      
  18 eines größeren trennt, der diesem doch zu seiner Erhaltung nöthig ist, ist      
  19 dieser nicht berechtigt, jenen sich zu unterwerfen und mit dem seinigen zu      
  20 vereinigen?" - Man sieht leicht, daß der größere eine solche Maxime ja      
  21 nicht vorher müsse laut werden lassen; denn entweder, die kleinern Staaten      
  22 würden sich frühzeitig vereinigen, oder andere Mächtige würden um diese      
  23 Beute streiten, mithin macht sie sich durch ihre Offenheit selbst unthunlich;      
  24 ein Zeichen, daß sie ungerecht ist und es auch in sehr hohem Grade sein      
  25 kann; denn ein kleines Object der Ungerechtigkeit hindert nicht, daß die      
  26 daran bewiesene Ungerechtigkeit sehr groß sei.      
           
  27 3. Was das Weltbürgerrecht betrifft, so übergehe ich es hier      
  28 mit Stillschweigen: weil wegen der Analogie desselben mit dem Völkerrecht      
  29 die Maximen desselben leicht anzugeben und zu würdigen sind.      
           
  30 Man hat hier nun zwar an dem Princip der Unverträglichkeit der      
  31 Maximen des Völkerrechts mit der Publicität ein gutes Kennzeichen der      
  32 Nichtübereinstimmung der Politik mit der Moral (als Rechtslehre).      
  33 Nun bedarf man aber auch belehrt zu werden, welches denn die Bedingung      
  34 ist, unter der ihre Maximen mit dem Recht der Völker übereinstimmen.      
  35 Denn es läßt sich nicht umgekehrt schließen: daß, welche Maximen die      
           
     

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