Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 379 |
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01 | oder Gewalt vorgezeichnete krumme Wege abschneidender Rechtsgrundsatz; | ||||||
02 | nur daß er nicht mißverstanden und etwa als Erlaubniß, sein eigenes | ||||||
03 | Recht mit der größten Strenge zu benutzen (welches der ethischen Pflicht | ||||||
04 | widerstreiten würde), sondern als Verbindlichkeit der Machthabenden, | ||||||
05 | niemanden sein Recht aus Ungunst oder Mitleiden gegen Andere zu | ||||||
06 | weigern oder zu schmälern, verstanden wird; wozu vorzüglich eine nach | ||||||
07 | reinen Rechtsprincipien eingerichtete innere Verfassung des Staats, dann | ||||||
08 | aber auch die der Vereinigung desselben mit andern benachbarten oder | ||||||
09 | auch entfernten Staaten zu einer (einem allgemeinen Staat analogischen) | ||||||
10 | gesetzlichen Ausgleichung ihrer Streitigkeiten erfordert wird. - Dieser | ||||||
11 | Satz will nichts anders sagen als: die politische Maximen müssen nicht | ||||||
12 | von der aus ihrer Befolgung zu erwartenden Wohlfahrt und Glückseligkeit | ||||||
13 | eines jeden Staats, also nicht vom Zweck, den sich ein jeder derselben | ||||||
14 | zum Gegenstande macht, (vom Wollen) als dem obersten (aber empirischen) | ||||||
15 | Princip der Staatsweisheit, sondern von dem reinen Begriff der Rechtspflicht | ||||||
16 | (vom Sollen, dessen Princip a priori durch reine Vernunft gegeben | ||||||
17 | ist) ausgehen, die physische Folgen daraus mögen auch sein, welche sie | ||||||
18 | wollen. Die Welt wird keinesweges dadurch untergehen, daß der bösen | ||||||
19 | Menschen weniger wird. Das moralisch Böse hat die von seiner Natur | ||||||
20 | unabtrennliche Eigenschaft, daß es in seinen Absichten (vornehmlich in | ||||||
21 | Verhältniß gegen andere Gleichgesinnte) sich selbst zuwider und zerstörend | ||||||
22 | ist und so dem (moralischen) Princip des Guten, wenn gleich durch | ||||||
23 | langsame Fortschritte, Platz macht. | ||||||
24 | Es giebt also objectiv (in der Theorie) gar keinen Streit zwischen | ||||||
25 | der Moral und der Politik. Dagegen subjectiv (in dem selbstsüchtigen | ||||||
26 | Hange der Menschen, der aber, weil er nicht auf Vernunftmaximen gegründet | ||||||
27 | ist, noch nicht Praxis genannt werden muß) wird und mag er | ||||||
28 | immer bleiben, weil er zum Wetzstein der Tugend dient, deren wahrer | ||||||
29 | Muth (nach dem Grundsatze: tu ne cede malis, sed contra audentior ito ) | ||||||
30 | in gegenwärtigem Falle nicht sowohl darin besteht, den Übeln und Aufopferungen | ||||||
31 | mit festem Vorsatz sich entgegenzusetzen, welche hiebei übernommen | ||||||
32 | werden müssen, sondern dem weit gefährlichern lügenhaften und | ||||||
33 | verrätherischen, aber doch vernünftelnden, die Schwäche der menschlichen | ||||||
34 | Natur zur Rechtfertigung aller Übertretung vorspiegelnden bösen Princip | ||||||
35 | in uns selbst in die Augen zu sehen und seine Arglist zu besiegen. | ||||||
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