Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 374

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 seiner gehörigen mechanischen Ordnung ist. Wenn aber diese Geschicklichkeit,      
  02 für alle Sättel gerecht zu sein, ihnen den Wahn einflößt, auch über      
  03 Principien einer Staatsverfassung überhaupt nach Rechtsbegriffen      
  04 (mithin a priori, nicht empirisch) urtheilen zu können; wenn sie darauf      
  05 groß thun, Menschen zu kennen (welches freilich zu erwarten ist, weil sie      
  06 mit vielen zu thun haben), ohne doch den Menschen, und was aus ihm      
  07 gemacht werden kann, zu kennen (wozu ein höherer Standpunkt der anthropologischen      
  08 Beobachtung erfordert wird), mit diesen Begriffen aber versehen,      
  09 ans Staats= und Völkerrecht, wie es die Vernunft vorschreibt, gehen:      
  10 so können sie diesen Überschritt nicht anders, als mit dem Geist der      
  11 Chicane thun, indem sie ihr gewohntes Verfahren (eines Mechanisms      
  12 nach despotisch gegebenen Zwangsgesetzen) auch da befolgen, wo die      
  13 Begriffe der Vernunft einen nur nach Freiheitsprincipien gesetzmäßigen      
  14 Zwang begründet wissen wollen, durch welchen allererst eine zu      
  15 Recht beständige Staatsverfassung möglich ist; welche Aufgabe der      
  16 vorgebliche Praktiker mit Vorbeigehung jener Idee empirisch, aus Erfahrung,      
  17 wie die bisher noch am besten bestandene, mehrentheils aber      
  18 rechtswidrige Staatsverfassungen eingerichtet waren, lösen zu können      
  19 glaubt. - Die Maximen, deren er sich hiezu bedient (ob er sie zwar      
  20 nicht laut werden läßt), laufen ungefähr auf folgende sophistische Maximen      
  21 hinaus.      
           
  22 1. Fac et excusa. Ergreife die günstige Gelegenheit zur eigenmächtigen      
  23 Besitznehmung (entweder eines Rechts des Staats über sein Volk,      
  24 oder über ein anderes benachbarte); die Rechtfertigung wird sich weit      
  25 leichter und zierlicher nach der That vortragen und die Gewalt beschönigen      
  26 lassen (vornehmlich im ersten Fall, wo die obere Gewalt im Innern      
  27 sofort auch die gesetzgebende Obrigkeit ist, der man gehorchen muß, ohne      
  28 darüber zu vernünfteln), als wenn man zuvor auf überzeugende Gründe      
  29 sinnen und die Gegengründe darüber noch erst abwarten wollte. Diese      
  30 Dreustigkeit selbst giebt einen gewissen Anschein von innerer Überzeugung      
  31 der Rechtmäßigkeit der That, und der Gott bonus eventus ist nachher der      
  32 beste Rechtsvertreter.      
           
  33 2. Si fecisti, nega. Was du selbst verbrochen hast, z. B. um dein      
  34 Volk zur Verzweiflung und so zum Aufruhr zu bringen, das läugne ab,      
  35 daß es deine Schuld sei; sondern behaupte, daß es die der Widerspenstigkeit      
  36 der Unterthanen, oder auch bei deiner Bemächtigung eines benachbarten      
  37 Volks die Schuld der Natur des Menschen sei, der, wenn er dem      
           
     

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