Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 366 |
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01 | als Macht gegen diesen gerüstet zu sein. Nun ist die republikanische | ||||||
02 | Verfassung die einzige, welche dem Recht der Menschen vollkommen angemessen, | ||||||
03 | aber auch die schwerste zu stiften, vielmehr noch zu erhalten ist, dermaßen | ||||||
04 | daß viele behaupten, es müsse ein Staat von Engeln sein, weil | ||||||
05 | Menschen mit ihren selbstsüchtigen Neigungen einer Verfassung von so | ||||||
06 | sublimer Form nicht fähig wären. Aber nun kommt die Natur dem verehrten, | ||||||
07 | aber zur Praxis ohnmächtigen allgemeinen, in der Vernunft gegründeten | ||||||
08 | Willen und zwar gerade durch jene selbstsüchtige Neigungen zu | ||||||
09 | Hülfe, so daß es nur auf eine gute Organisation des Staats ankommt | ||||||
10 | (die allerdings im Vermögen der Menschen ist), jener ihre Kräfte so gegen | ||||||
11 | einander zu richten, daß eine die anderen in ihrer zerstörenden Wirkung | ||||||
12 | aufhält, oder diese aufhebt: so daß der Erfolg für die Vernunft so ausfällt, | ||||||
13 | als wenn beide gar nicht da wären, und so der Mensch, wenn gleich nicht | ||||||
14 | ein moralisch=guter Mensch, dennoch ein guter Bürger zu sein gezwungen | ||||||
15 | wird. Das Problem der Staatserrichtung ist, so hart wie es auch klingt, | ||||||
16 | selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben) auflösbar | ||||||
17 | und lautet so: "Eine Menge von vernünftigen Wesen, die insgesammt allgemeine | ||||||
18 | Gesetze für ihre Erhaltung verlangen, deren jedes aber ingeheim | ||||||
19 | sich davon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung einzurichten, | ||||||
20 | daß, obgleich sie in ihren Privatgesinnungen einander entgegen | ||||||
21 | streben, diese einander doch so aufhalten, daß in ihrem öffentlichen Verhalten | ||||||
22 | der Erfolg eben derselbe ist, als ob sie keine solche böse Gesinnungen | ||||||
23 | hätten." Ein solches Problem muß auflöslich sein. Denn es ist nicht | ||||||
24 | die moralische Besserung der Menschen, sondern nur der Mechanism der | ||||||
25 | Natur, von dem die Aufgabe zu wissen verlangt, wie man ihn an Menschen | ||||||
26 | benutzen könne, um den Widerstreit ihrer unfriedlichen Gesinnungen in | ||||||
27 | einem Volk so zu richten, daß sie sich unter Zwangsgesetze zu begeben einander | ||||||
28 | selbst nöthigen und so den Friedenszustand, in welchem Gesetze Kraft | ||||||
29 | haben, herbeiführen müssen. Man kann dieses auch an den wirklich vorhandenen, | ||||||
30 | noch sehr unvollkommen organisirten Staaten sehen, daß sie sich | ||||||
31 | doch im äußeren Verhalten dem, was die Rechtsidee vorschreibt, schon sehr | ||||||
32 | nähern, obgleich das Innere der Moralität davon sicherlich nicht die Ursache | ||||||
33 | ist (wie denn auch nicht von dieser die gute Staatsverfassung, sondern | ||||||
34 | vielmehr umgekehrt von der letzteren allererst die gute moralische Bildung | ||||||
35 | eines Volks zu erwarten ist), mithin der Mechanism der Natur durch selbstsüchtige | ||||||
36 | Neigungen, die natürlicherweise einander auch äußerlich entgegen | ||||||
37 | wirken, von der Vernunft zu einem Mittel gebraucht werden kann, dieser | ||||||
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