Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 363

     
           
 

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  01 zuletzt nothwendig macht; - alsdann aber allererst die Art, wie      
  02 sie diese leiste.      
           
  03 Ihre provisorische Veranstaltung besteht darin: daß sie 1) für die      
  04 Menschen in allen Erdgegenden gesorgt hat, daselbst leben zu können;      
  05 2) sie durch Krieg allerwärts hin, selbst in die unwirthbarste Gegenden      
  06 getrieben hat, um sie zu bevölkern; 3) - durch eben denselben sie      
  07 in mehr oder weniger gesetzliche Verhältnisse zu treten genöthigt hat.      
  08 - Daß in den kalten Wüsten am Eismeer noch das Moos wächst,      
  09 welches das Rennthier unter dem Schnee hervorscharrt, um selbst      
  10 die Nahrung, oder auch das Angespann des Ostjaken oder Samojeden      
  11 zu sein; oder daß die salzichten Sandwüsten doch noch dem Kameel,      
  12 welches zu Bereisung derselben gleichsam geschaffen zu sein scheint,      
  13 um sie nicht unbenutzt zu lassen, enthalten, ist schon bewundernswürdig.      
  14 Noch deutlicher aber leuchtet der Zweck hervor, wenn man gewahr wird,      
  15 wie außer den bepelzten Thieren am Ufer des Eismeeres noch Robben,      
  16 Wallrosse und Wallfische an ihrem Fleische Nahrung und mit ihrem Thran      
  17 Feurung für die dortigen Anwohner darreichen. Am meisten aber erregt      
  18 die Vorsorge der Natur durch das Treibholz Bewunderung, was sie (ohne      
  19 daß man recht weiß, wo es herkommt) diesen gewächslosen Gegenden zubringt,      
  20 ohne welches Material sie weder ihre Fahrzeuge und Waffen, noch      
  21 ihre Hütten zum Aufenthalt zurichten könnten; wo sie dann mit dem      
  22 Kriege gegen die Thiere gnug zu thun haben, um unter sich friedlich zu      
  23 leben. - - Was sie aber dahin getrieben hat, ist vermuthlich nichts      
  24 anders als der Krieg gewesen. Das erste Kriegswerkzeug aber unter      
  25 allen Thieren, die der Mensch binnen der Zeit der Erdbevölkerung zu      
  26 zähmen und häuslich zu machen gelernt hatte, ist das Pferd (denn der      
  27 Elephant gehört in die spätere Zeit, nämlich des Luxus schon errichteter      
  28 Staaten), so wie die Kunst, gewisse für uns jetzt ihrer ursprünglichen      
  29 Beschaffenheit nach nicht mehr erkennbare Grasarten, Getreide genannt,      
  30 anzubauen, ingleichen die Vervielfältigung und Verfeinerung der Obstarten      
  31 durch Verpflanzung und Einpfropfung (vielleicht in Europa bloß      
  32 zweier Gattungen, der Holzäpfel und Holzbirnen) nur im Zustande schon      
  33 errichteter Staaten, wo gesichertes Grundeigenthum statt fand, entstehen      
  34 konnte, - nachdem die Menschen vorher in gesetzloser Freiheit von dem      
  35 Jagd=*), Fischer= und Hirtenleben bis zum Ackerleben durchgedrungen      
           
    *) Unter allen Lebensweisen ist das Jagdleben ohne Zweifel der gesitteten Verfassung am meisten zuwider: weil die Familien, die sich da vereinzelnen [Seitenumbruch] müssen, einander bald fremd und sonach, in weitläuftigen Wäldern zerstreut, auch bald feindselig werden, da eine jede zu Erwerbung ihrer Nahrung und Kleidung viel Raum bedarf. - Das Noachische Blutverbot, 1. M. IX, 4 - 6, (welches, öfters wiederholt, nachher gar den neuangenommenen Christen aus dem Heidenthum, obzwar in anderer Rücksicht, von den Judenchristen zur Bedingung gemacht wurde, Apost.=Gesch. XV, 20. XXI, 25) scheint uranfänglich nichts anders, als das Verbot des Jägerlebens gewesen zu sein: weil in diesem der Fall, das Fleisch roh zu essen, oft eintreten muß, mit dem letzteren also das erstere zugleich verboten wird.      
           
     

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